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Worum Es Geht

Worum Es Geht

Titel: Worum Es Geht
Autoren: Jutta Ditfurth
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der Staat ihre Besitztümer und Privilegien verteidigen und den Untergang der anderen betonieren soll. Das Bewusstsein vieler Untertanen und Profiteure ist für rechtsradikales und faschistoides Denken anschlussfähig. Während wir also unsere Chancen zur Aufklärung und zur Erweiterung unserer sozialen Basis zu nutzen versuchen, wächst zugleich die Zahl unserer rechten Gegner, und die werden, wie nicht nur unsere tägliche Erfahrung zeigt, immer gewaltbereiter und gewalttätiger. 12
    Andererseits
aber zerbrechen in dieser Krise Gewissheiten, und sie zwingen human denkende, aber bislang unpolitische Menschen zur Auseinandersetzung mit einer Wirtschaftsweise, die jahrzehntelang nur bei Strafe des »Extremismusverdachts« Kapitalismus genannt werden durfte. Das ist eine Chance. Es wäre eine große und selbstverliebte Dummheit, anzunehmen, dass wir allein sind. Damit gingen wir den deutschen Verhältnissen auf den Leim, deren Massenmedien uns so gern einhämmern, dass wir marginal sind. Das dort abgebildete Leben hat mit der sozialen Wirklichkeit ohnehin nur wenig zu tun. Wir sind eine Minderheit, aber alle sozialen Bewegungen, auch die historisch erfolgreichen wie die Arbeiterbewegung, waren selbst zu ihren Hochzeiten Minderheiten, wenn auch
organisierte
Minderheiten.
    Die ersten Schritte politischen Denkens handeln meist von Dingen, die einen persönlich berühren. Diese Auseinandersetzung kann den Blick auf die Welt erweitern. Oder auch nicht, man kann auch im eigenen Nabel steckenbleiben. Ein anderes Scheitern ist die Illusion, wenn eine Organisation nur groß genug ist, ließe sich die Gesellschaft verändern. Reformistische Taktik und Strategie und Organisation aber sind Sackgassen, es hapert schon an ihren theoretischen Grundlagen. In falschen Bündnissen werden wir nicht mehr, nur falsch, und wenn es ganz dumm kommt, tragen wir zur Befriedung und Stabilisierung eben jener Verhältnisse bei, die wir umwerfen wollten.
    Ein Mittelschichtskind kann ein Zelt vor der Europäischen Zentralbank aufbauen, weil es empört darüber ist, dass seine Eltern ihr Erspartes verloren haben, oder weil es selbst keinen Job bekommt. Das ist nicht verwerflich. Wenn nun aber persönliche Abstiegsängste und der drohende Verlust von materiellen Annehmlichkeiten die Motive zu handeln andauernd dominieren, haben wir ein Problem. Denn dieses Interesse wäre ja schon damit befriedigt, dass dieser Mensch einen Job bekommt und seine Eltern einen anderen Weg finden, ihren Ruhestand zu finanzieren.
    Der Staat muss die Integrierbaren von den Systemkritikern trennen. Er weiß das, beobachtet, analysiert und bleibt milde, wo ihm keine Gefahr droht. Das Frankfurter Occupy-Camp wurde von Polizei, Ordnungsamt, Bankern und Medien zugrunde gelobt. Occupy in Deutschland ist keine soziale Bewegung, schon gar keine linke. In einigen Städten der USA verband sich der Protest von Angehörigen der Mittelschicht und des Kleinbürgertums mit fortschrittlichen Teilen der Arbeiter- und Bürgerrechtsbewegung. In der Bundesrepublik aber finden wir bei Occupy kein emanzipatorischlinkes oder sozialrevolutionäres Selbstverständnis, stattdessen politische Unverbindlichkeit, Intellektuellenfeindlichkeit, Konfliktscheu, Harmoniestreben, Sehnsucht nach Reputation und – trotz intensiver Kritik von Linken – eine weit offene Flanke für Rechtspopulistisches, Nationalistisches und für den Antisemitismus.
    Der törichte Slogan »Wir sind 99 Prozent« unterstellt, dass Teile der Oberschicht und die
gesamte
Mittelschicht zum sozialen Protest zählten und auch ihre wohlhabenden Teile nicht zu den vom Kapitalismus Profitierenden gehörten. Der Spruch verrät die Abwesenheit noch der embryonalsten Form von Klassenanalyse. Am Kapitalismus beklagt Occupy im Wesentlichen nur die »falsche« Politik der Banken, nicht Ausbeutung, nicht Profit, nicht Mehrwertproduktion, nicht Lohnarbeit, nicht Naturvernichtung. Aber wenn die Bedingungen kapitalistischer Verwertung unbegriffen bleiben, kippen die Annahmen über die Ursache der Misere ins Verschwörungstheoretische. Abstrakte Strukturen zu durchdringen ist anstrengende Kopfarbeit, da ist es einfacher, jüdische Weltverschwörungen zu erfinden.
    Occupy Deutschland lobt die eigene Toleranz über alle Maßen. Man will das Gute und ist gegen das Böse und alle, alle können mitmachen – auch der Rechtsradikale und der Nazi, solange sie nicht um sich prügeln. Man will das »rein Menschliche« vertreten. Es herrscht die absolute
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