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Worum Es Geht

Worum Es Geht

Titel: Worum Es Geht
Autoren: Jutta Ditfurth
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ihre Großeltern, erneuern alte Rechtfertigungen, obwohl sie den Massenmord an den Juden keineswegs bestreiten. Es hört nicht auf. Aufklärung stößt vielerorts an ihre härteste Grenze: das Interesse der Mitglieder einer Klasse, einer sozialen Schicht, ihre Privilegien mit allen Mitteln zu verteidigen.
    Der Kapitalismus ist höchst begabt darin, seine Erscheinungsformen zu ändern, um sein Wesen über die Jahrhunderte zu retten. Manchmal, unter besonderen Umständen, gehört dazu auch der offene Faschismus wie in Deutschland nach der Weltwirtschaftskrise von 1929. »Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen«, schrieb Max Horkheimer 1939 über diesen Zusammenhang. 1
    Die Verteidiger der herrschenden Verhältnisse sagen heute gern, dass es »uns« noch nie so gut gegangen sei. Wer ist »uns«? Soll es wirklich um die Emanzipation und die soziale Befreiung
aller
Menschen gehen, existiert kein
nationales
»wir«. Mit »uns« meinen diese Epigonen meistens sich selbst und ihre Klasse, Profiteure und Fußvolk der herrschenden Verhältnisse. Von jeder politischen Generation schließen sich ihnen diejenigen an, die aufgegeben haben, für Veränderungen zu kämpfen – sofern sie je anfingen –, und nur noch um die Verteidigung ihrer Interessen und der ihrer Familien kreisen. Vielleicht haben sie sich heute verspekuliert und trauern deshalb der Nachkriegsphase des Kapitalismus vor 1989 nach, verklären ihn zur »sozialen Marktwirtschaft« oder als »rheinischen Kapitalismus«. Reformistische Philosophen und Organisationen geißeln, wenn sie von den anschließenden zwanzig Jahren sprechen, den »Turbokapitalismus« und »Casinokapitalismus«, als sei der nicht, was er ist: eine Variation des nun auch in seinem Zentrum enthemmteren Kapitalismus, der nun auch hier seine Waffen zeigt, welche die Menschen woanders längst am eigenen Leib gespürt haben, ohne dass dies in Deutschland eine Mehrheit interessiert hätte. Es ist überraschend, wie wenig die Wandlungsfähigkeit des Kapitalismus analytisch durchdrungen und wie sehr sie unterschätzt wird.
    Die Protagonisten des falschen »uns« versimpeln seit Jahren Kolonialismus und Imperialismus zum angeblich neuen Phänomen der »Globalisierung«, als ob der Kapitalismus nicht von Anfang an raubplündernd und mordend um die Welt gezogen ist, weil Rohstoffe, billiges Menschenmaterial und Absatzmärkte lockten. Er marschierte bis an den Scheitel bewaffnet los, sobald das Kapital vorhanden und die notwendige Nachrichtentechnik sowie Transportwege entwickelt waren.
    Der gegenwärtigen Weltwirtschaftskrise des Kapitalismus, auch sie Ergebnis einer Überproduktionskrise, heften die Verteidiger und Mitläufer der kapitalistischen Verhältnisse die Etiketten »Eurokrise«, »Bankenkrise«, »Finanzkrise« und »Staatsschuldenkrise« an. Das ist nützlich, um das kapitalistische System nicht als Ganzes infrage stellen zu müssen und allenfalls über unzulängliche und falsche, das System nicht gefährdende Lösungen zu reden. Denn wenn nur Banken und Finanzspekulanten »böse« sind, lässt sich ja vielleicht der Kapitalismus retten?
    Was muss vorausgehen, damit eine junge Arbeiterin oder ein junger Arbeiter sich wegen unerträglicher Arbeitsbedingungen selbst töten? Dreizehn Mitarbeiter des Elektronikkonzerns Foxconn in China haben sich im Jahr 2010 umgebracht. Die dreizehn Toten sind nur eine Nadelspitze der Eisbergkette von iSlavery. Unter der Meeresoberfläche kapitalistischer »Normalität« liegt die Welt millionenfach ausgebeuteter, bei der Arbeit verkrüppelter, durch Chemikalien vergifteter, an Arbeitsunfällen und -bedingungen psychisch und physisch zugrunde gegangener Menschen. Von denen, die nicht einmal eine solche Arbeit hatten und daran zugrunde gingen, nicht zu reden. Hinter ihnen stehen viele Ungezählte und Hunderte, die ihr Leben mühsam aufrechterhalten. Die dreizehn Toten starben an Arbeitsdruck, Mangelernährung, Überstunden, elenden Quartieren, mieser Gesundheitsversorgung und endlosen Demütigungen. Während sie in den Tod sprangen, hielten Konsumierende auch vor deutschen Apple-Stores jubelnd ihr neues iPhone oder iPad in die Luft und durchschritten stolz das Spalier schlecht bezahlter Angestellter, die erzwungen »freiwillig« Beifall klatschten.
    »Ich habe mich wegen meiner Arbeit bei France Télécom umgebracht«, schrieb ein Angestellter, bevor er sich tötete. Personalabbau, extreme Arbeitsverdichtung, Erniedrigungen
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