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Wolkentaenzerin

Wolkentaenzerin

Titel: Wolkentaenzerin
Autoren: Nichole Bernier
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Schwester stirbt, und ich deswegen heiß glühen würde. Ich wünschte, ich könnte wegziehen.
    Liebe Grüße
    Lizzie D
    Eine Schwester. Kate spürte, wie der Sessel absackte und der Boden unter ihren Füßen schwankte. Wie konnte Elizabeth eine Schwester gehabt und Kate nichts davon erzählt haben? Weder über den Verlust noch davon, überhaupt eine gehabt zu haben. Sie hatte erwähnt, dass sie Einzelkind war, hatte aber so wenig darüber gesprochen, dass Kate davon ausgegangen war, dass es das Übliche war: Eltern, die sich nicht sicher waren, was ein Kind einem abverlangte, die fanden, dass eines genug war, oder vielleicht keins mehr bekommen konnten, so dass eine Leere entstanden war, die bei Elizabeth dazu geführt hatte, sich für drei zu entscheiden. Vielleicht noch mehr , hatte sie immer gesagt.
    Kate atmete aus. Sie dachte daran, wie Piper sich an James schmiegte, wenn sie im Auto schliefen, Kopf an Kopf, mit den hohen symmetrischen Augenbrauen, die wie ein beiläufiger Kommentar zu Kates Entwicklung von ihrem Beruf zur Ehefrau und Mutter wirkten. Sie dachte an ihre Schwester, Rachel. Eine Schwester war Kameradin und Konkurrentin, diejenige, die den Schmelztiegel am besten verstand, in dem man geformt worden war. Eine der wenigen, die einen zu einem Ganzen machten und einen als halben Menschen zurückließen, wenn man sie verlor.
    Doch in der Flut von Mitgefühl gab es ihr einen Stich, dass sie nichts davon gewusst hatte.
27. April 1976
Liebes Tagebuch,
ich habe Mom gesagt, dass ich nach der Schule mit zu Sherry gehe. Ich bin noch nie alleine auf einem Friedhof gewesen. Auf einem Grab hat jemand Kuscheltiere und kleine Spielzeugautos an den Grabstein gelegt, und an den Daten habe ich erkannt, dass ein ganz kleines Kind da begraben ist. Ich hatte Angst, dass ich wieder einen Asthmaanfall bekomme, aber als ich zu Annas Grab kam, habe ich aufgehört zu weinen. Das Gras ist noch nicht gewachsen, und es gibt auch noch keinen Grabstein. Also hab ich dagesessen und die Erde angestarrt.
Ich weiß nicht, was man macht, wenn man auf den Friedhof geht, und wahrscheinlich hätte ich beten sollen oder so, aber ich konnte nicht aufhören, daran zu denken, dass sie da unter der Erde liegt. Richtig ihr Körper mit dem grünen Kleid für den Fototag an der Schule, wie auf der Totenwache. Aber er sah da gar nicht aus wie sie, außer das Bettelarmband und die Haare, und die waren auch merkwürdig, so steif wie die von einer Puppe. Es gab überhaupt nichts, das aussah, wie sie wirklich war, nicht ihr dusseliges Gesicht und wie sie mir immer nachgelaufen ist, was mir so auf die Nerven ging, ich aber nicht »Lass das!« rufen konnte. Wer würde denn schon gemein sein zu einem Kind, das einfach nur die ganze Zeit mit einem zusammen sein will?
Da wusste ich, dass sie bei Gott ist, weil da gar keine Anna im Sarg war. Ich hab das auf der Beerdigung gar nicht so sehr gespürt, obwohl man das da wahrscheinlich eigentlich spüren sollte. Aber wenn man sich einen Körper anschaut, und da ist kein bisschen Leben drin, was auch nur irgendwie ist, wie der Mensch wirklich war, nicht mal wie jemand, der schläft, und viel starrer als eine Statue, dann muss man einfach wissen, dass es einen Gott gibt. Weil irgendwas mehr aus einem Körper machen muss als nur einen Körper, nicht nur das Blut, das darin herumfließt.
29. April 1976
Die Beratungslehrerin hat mir einen Job über Mother’s Helpers besorgt. Sie dachte, das würde mir guttun, auch wenn ich nicht gern babysitte und kleine Kinder mir irgendwie auf die Nerven gehen. Die Mutter hat ganz viel gelächelt und immer das Baby am Haar berührt, es umarmt und an sich gedrückt, und ich habe mich gefragt, ob Mom auch so zu mir war, als ich klein war, bevor sie anfing, mich Nörgeline und Grummelstilzchen zu nennen. Die Mutter hat mich nach meiner Familie gefragt und wie ich die Schule finde, die Beratungslehrerin hat ihr also anscheinend nichts von Anna erzählt. Was ich komisch fand, obwohl sie im Nachbarort wohnt, aber ich habe das Gefühl, dass hier in der Gegend jeder Bescheid weiß, auf jeden Fall kommt mir das im Laden immer so vor. Als sie gefragt hat, ob ich Geschwister habe, wusste ich nicht, was ich sagen soll. Was soll ich denn jetzt sagen?
Das habe ich Mom beim Abwaschen gefragt, und sie war erst mal ganz lange still, und dann hat sie aus dem Fenster über dem Waschbecken gesehen, und ich wusste nicht, ob sie jetzt sauer war oder gleich anfängt zu weinen. Aber nichts von beidem
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