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Wolkengaukler

Wolkengaukler

Titel: Wolkengaukler
Autoren: Anett Leunig
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sich meine Gedanken drehen konnten. Das machte mir ein bisschen Mut.
    Natürlich musste ich nun auch von zu Hause erzählen, von Mutter und Vater, was mir wiederum nicht so recht war, und natürlich von mir selbst. Tante Melanie ließ sich ihren Schrecken über meinen miserablen Schuljahresabschluss wenigstens nicht anmerken, und Christoph zuckte nur mit den Schultern: „Das kenne ich von mir auch, das hat noch nichts zu sagen.“
    Aber als ich von der Reaktion meines Vaters berichtete, zog er die Brauen zusammen und schwieg. Tante Melanie dagegen schimpfte lauthals über ihren Schwager. Nur mühsam konnte ich sie davon abbringen, jetzt gleich daheim anzurufen und „ihm mal richtig den Kopf zu waschen“. Noch immer ungehalten vor sich hin murmelnd nahm sie ihr leeres Glas, wünschte uns zwischen zwei ungezogenen Schimpfwörtern eine gute Nacht und ging hinein.
    Christoph hatte sich in seinem Korbstuhl zurückgelehnt, betrachtete die Reflektion des Kerzenscheins in seinem Weinglas und bedachte mich gelegentlich mit einem prüfenden Seitenblick. Ich fühlte mich dabei wie unter einem Röntgengerät, das ständig an- und ausgeschaltet wurde.
    „Da ist doch noch mehr passiert?“, bemerkte er plötzlich, und in seiner Stimme lag eine Bestimmtheit, die mich nicht mehr ausweichen ließ. Ich schenkte mir noch etwas Wein nach und brummte: „Hmmm.“ Ich wusste, was ich ihm jetzt eigentlich erzählen sollte, nämlich von der verpatzten Sache mit Isabel, von der Abschlussfete und Felix’ Abfuhr. Aber mir war selbst nicht klar, was da genau passiert war, und ich wollte irgendwie noch nicht darüber reden.
    Doch Christophs prüfender Blick ließ mich nicht los, und ich spürte, dass ich um einen weiteren Bericht nicht herumkommen würde. Also versuchte ich, mich an Felix’ Erzählungen zu erinnern, in denen er mir die Dates mit seinem ‚heißen Mädel’ in allen Einzelheiten dargestellt hatte. Ich kramte alles zusammen und präsentierte Christoph eine richtig romantische, leidenschaftliche und prickelnde Story, berichtete ihm von Isabel – einer anderen als der, die ich kannte –, wie ich sie bezirzt und verführt hätte, gestreichelt und geküsst. Klar, dass ein Junge bei diesen Erlebnissen  ein bisschen den Kopf verlor und die Schulleistungen nachließen!
    Als ich am Ende meines Berichts angekommen war – der Fete vor einigen Tagen, nach der ich sie angeblich fast ins Bett gekriegt hätte -, schaute er mich eine ganze Weile wortlos an. Wieder hatte ich das Gefühl, als würde er mit seinem Blick mein Innerstes nach außen  kehren. Dann stellte er sein Weinglas behutsam auf den Tisch, neigte sich mir beinahe verschwörerisch entgegen und stellte mit einem leisen, amüsierten Lächeln fest: „Tolle Geschichte, Jann. Mit anderen Worten: du bist mit ihr über das Stadium ‚Händchen-halten’ nicht hinausgekommen.“
    Verdammt!
    Offensichtlich hatte es keinen Zweck, ihm etwas vorzumachen. Sein Blick hielt den meinen unerbittlich fest, so dass ich nach einer Weile mühsam, aber immerhin ehrlich nickte.
    „Schon besser!“, meinte Christoph zufrieden und lehnte sich zurück. „Und jetzt erzähl’ mir, was wirklich passiert ist.“
    Bei meinem nächsten Bericht war ich ehrlich bis auf die Knochen. Auch die Sache mit dem vermasselten Zungenkuss erzählte ich ihm, und von der Enttäuschung, von meinem besten Freund verraten und verkauft worden zu sein. Nur die seltsamen Gefühle, die ich Felix gegenüber manchmal empfunden hatte, erwähnte ich nicht.
    Christoph hörte mir ruhig und aufmerksam zu, unterbrach mich nicht und stellte keine Fragen. Als ich fertig war, schüttelte er langsam den Kopf und fasste alles mit dem einzig treffenden Wort zusammen: „Scheiße!“
    „Ja, das habe ich auch gesagt“, erwiderte ich.
    Eine Weile starrten wir beide in unsere halbleeren Gläser, jeder in seine eigenen Gedanken versunken. Ich dachte an die letzten Schultage, an Felix und Isabel. Woran Christoph dachte, wusste ich nicht, und ich hätte es zu diesem Zeitpunkt auch nicht einmal ansatzweise erraten können. Schließlich brach er das Schweigen:
    „Also, was Mädchen betrifft, da kann ich dir leider keine klugen Ratschläge geben. Eigentlich kann man zum Thema ‚Beziehungen’ überhaupt keine geben. Ich kann dir nur eine Art Zuflucht anbieten, ein bisschen Ruhe und neue Eindrücke, damit du erst einmal das andere verdrängen kannst. Vielleicht kommst du dann später dazu, es zu verarbeiten und deine eigenen Schlüsse
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