Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Wolkengaenger

Titel: Wolkengaenger
Autoren: Alan Philps , John Lahutsky
Vom Netzwerk:
mitansehen, wie Nastja eine Schüssel nahm, neben Igors Gehfrei in die Hocke ging, ihn zwang,
     seinen Kopf nach hinten zu kippen, indem sie die Schüssel gegen sein Kinn presste, und mit einem großen Löffel begann, das
     Essen in ihn hineinzuschaufeln. Igor schluckte und stieß einen Schrei aus. Wanja wusste, dass ihm das heiße Essen den Mund
     verbrannte. Doch Nastja machte weiter. |20| Ohne ein Wort zu sagen, stopfte sie ihm löffelweise Kartoffelpüree in den Mund. Igor wand sich hin und her und versuchte,
     seinen Kopf wegzudrehen. »Du hast also keinen Hunger«, sagte Nastja daraufhin, stand auf und stellte die Schüssel zurück auf
     den Tisch.
    Dann nahm sie Tolja aus seinem Laufstall, ließ ihn auf einen Stuhl fallen und holte eine andere Schüssel. Wanja sah dem blinden
     Jungen zu, wie er seine neue Umgebung abtastete und versuchte, sich zurechtzufinden. Während seine Finger den Stuhl erkundeten,
     stieß Nastja seinen Kopf nach hinten und begann, ihm das Gemisch aus Suppe und Püree in den Mund zu schaufeln. Der Löffel
     wurde schneller und schneller, und Tolja hatte große Mühe, das Essen hinunterzuschlucken. Jedes Mal, wenn er seinen Kopf wegdrehte,
     um sich Zeit zum Schlucken zu verschaffen, riss Nastja ihn zurück und schaufelte weiter Essen in ihn hinein. Beinahe im gleichen
     Tempo, wie sie es in ihn hineinpresste, floss es wieder aus seinem Mund heraus, rann sein Kinn herab und tropfte auf einen
     Fetzen Stoff. Im Nu war die Schüssel geleert, und Nastja ging zum nächsten Kind über.
    Sie nahm eines der Fläschchen mit der braunen Suppe und schlurfte hinüber zur Fensterbank, auf der Waleria lag. Sie steckte
     dem Mädchen den Sauger in den winzigen Mund und hielt das Ende der Flasche schräg nach oben. Waleria war so schwach, dass
     Wanja sie kaum schlucken hören konnte. »Mach schon«, sagte Nastja ungeduldig, wandte sich von dem Mädchen ab und sah sich
     prüfend im Zimmer um. Walerias Schluckgeräusche wurden weniger und weniger und blieben schließlich ganz aus. Obwohl ihre Flasche
     noch immer fast voll war, riss Nastja sie ihr ungeduldig aus dem Mund und ging zum nächsten Kind.
    Während Wanja Nastja beim Füttern der anderen Kinder beobachtete, wurde er immer hungriger. Er brauchte dringend ein Stückchen
     Brot. Vielleicht wenn er sie ganz freundlich bitten würde … Doch als Nastja zwei Schüsseln und zwei große Löffel vor die Jungs
     auf den Tisch knallte, wurde ihm klar, |21| dass es heute keine Leckerbissen geben würde. Da war kein Brot. »Macht bloß keinen Dreck«, warnte sie die beiden. Stumm löffelten
     Wanja und Andrej die kalte Suppe, in der rein gar nichts zum Kauen war.
    Während die Jungs aßen, trug Nastja ein Kind nach dem anderen zur Wickelkommode und zog ihnen, ohne ein Wort oder einen Blick,
     ihre nassen Strumpfhosen und schmutzigen Stoffwindeln aus und trockene an. Anschließend verfrachtete sie jedes Kind in eines
     der Gitterbetten, die im angrenzenden Schlafraum standen. Der Mittagsschlaf stand an.
    Wanja graute vor der Langeweile, vor den endlosen Stunden, die er nun ans Bett gefesselt sein würde. Während er wartete, dass
     die Reihe an ihn kam, überlegte er fieberhaft, wie er das Unvermeidliche hinauszögern könnte. Wenn Tante Walentina Dienst
     hatte, durfte er immer noch eine Weile bei ihr sitzen, wenn sie die anderen ins Bett gebracht hatte. Dann brachte sie ihm
     Lieder oder Gedichte bei. Nastja tat das nie. Gerade hatte sie Andrej fortgetragen. Während er vorgab, noch nicht mit dem
     Essen fertig zu sein und die allerletzten Reste seines Pürees zusammenkratzte, suchte Wanja nach einer Möglichkeit, sie in
     ein Gespräch zu verwickeln.
    Als sie sich zu ihm hinunterbeugte, um ihn hochzunehmen, fragte er: »Hast du dir deinen Teppich gekauft?«
    Nastja sah ihn verblüfft an. »Woher weißt du von meinem Teppich?«
    »Ich habe gehört, wie du der Ärztin erzählt hast, dass du einen Teppich im Geschäft gesehen hast und dass du ihn dir nach
     Dienstschluss kaufen willst.«
    »Ja, ich hab ihn mir gekauft.«
    »Ist er schön?«
    »Ja.« Es entstand eine Pause, als sie ihn auf den Arm nahm. »Was ist ein Geschäft, Nastja?«
    »Ein Ort, an dem man Sachen kaufen kann. Aber jetzt wird geschlafen.«
    »Aber ich bin gar nicht müde.« Nastja zeigte keine Reaktion. Sie hatte es viel zu eilig, ihn in sein Bett zu bringen. |22| Als sie die Tür hinter sich schloss, blieb Wanja nichts zu tun, als durch die Gitterstäbe seines Betts die Risse in der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher