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Wolken über Ebou

Wolken über Ebou

Titel: Wolken über Ebou
Autoren: Robert Jordan
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Mögt Ihr stets Wasser und Schatten finden.« Und mit diesen Worten verschwanden sie, kehrten in ihre Körper zurück.
    Egwene stand einige Zeit nur da und betrachtete Callandor stirnrunzelnd, ohne es zu sehen, bis sie sich verärgert zur Ordnung rief. Sie hatte über dieses endlose Sternenfeld nachgedacht. Wenn sie hier noch lange verweilte, würde Gawyns Traum sie erneut finden und sie umschlingen, wie seine Arme es bald danach tun würden. Eine erfreuliche Art, die restliche Nacht zu verbringen. Und eine törichte Zeitverschwendung.
    Sie zwang sich entschlossen zur Rückkehr in ihren schlafenden Körper, aber nicht in tiefen Schlaf. Das tat sie nie mehr. Ein Winkel ihres Bewußtseins blieb stets vollkommen wach, verzeichnete ihre Träume und ordnete diejenigen ein, die die Zukunft voraussagten oder zumindest Hinweise auf ihren möglichen Verlauf gaben. Soviel konnte sie inzwischen immerhin feststellen, obwohl der einzige Traum, den sie bisher hatte deuten können, derjenige Traum gewesen war, der besagt hatte, daß Gawyn ihr Behüter würde. Aes Sedai nannten dies Träumen und die Frauen, die es tun konnten, Träumerinnen, aber außer ihr waren alle schon tot, und doch hatte es nicht mehr mit der Einen Macht zu tun als das Traumgehen.
    Vielleicht war es unvermeidlich, daß sie zuerst von Gawyn träumte, weil sie an ihn gedacht hatte.
    Sie stand in einem großen, trübe beleuchteten Raum, in dem alles undeutlich war. Alles außer Gawyn, der langsam auf sie zukam. Ein großer, gutaussehender Mann - hatte sie jemals geglaubt, sein Halbbruder Galand sähe besser aus? - mit goldenem Haar und wundervoll tiefblauen Augen. Er hatte noch einige Entfernung zurückzulegen, aber er konnte sie sehen. Sein Blick war auf sie gerichtet wie der Blick eines Bogenschützen auf sein Ziel. Ein schwach knirschendes und reibendes Geräusch schwebte in der Luft. Sie schaute hinab und spürte, wie sich in ihr ein Schrei aufbaute. Gawyn schritt barfuß über einen geborstenen Glasboden und zerbrach mit jedem Schritt weitere Scherben. Sie konnte selbst bei dieser schwachen Beleuchtung sehen, daß seine zerschnittenen Füße eine Blutspur hinterließen. Sie streckte eine Hand aus, wollte ihm zurufen stehenzubleiben, versuchte, zu ihm zu laufen, aber sie befand sich im Handumdrehen woanders.
    Sie schwebte, wie in ihren Träumen üblich, über eine lange gerade Straße, die durch eine grasbewachsene Ebene führte, und blickte auf einen Mann auf einem schwarzen Hengst herab. Gawyn. Dann stand sie auf der Straße vor ihm, und er verhielt das Pferd. Nicht weil er sie jetzt sah, sondern weil sich die bisher gerade Straße nun genau an der Stelle gabelte, an der sie stand, und dann über hohe Hügel verlief, so daß man nicht sehen konnte, was jenseits lag. Sie wußte es jedoch. Der eine Weg führte zu seinem baldigen gewaltsamen Tod und der andere zu einem langen Leben mit einem natürlichen Tod. Auf dem einen Weg würde er sie heiraten, auf dem anderen nicht. Sie wußte, was vor ihm lag, aber sie wußte nicht, welcher Weg wohin führte. Plötzlich sah er sie oder schien sie zu sehen, lächelte und führte sein Pferd dann einen der Wege entlang... Und sie befand sich in einem anderen Traum. Und wieder in einem anderen. Und wieder in einem anderen. Und wieder.
    Nicht alle deuteten auf die Zukunft hin. Träume, in denen sie Gawyn küßte, in denen sie mit ihren Schwestern auf eine Frühlingswiese lief, wie sie es als Kinder getan hatten, glitten ebenso vorüber wie Alpträume, in denen Aes Sedai sie mit Ruten durch endlose Gänge jagten, in denen überall häßliche Wesen in den Schatten lauerten, eine grinsende Nicola sie vor dem Saal bloßstellte und Thom Merrilin als Zeuge auftrat. Sie entließ jene Träume und verdrängte die anderen, um sie später in der Hoffnung darauf zu überprüfen, daß sie vielleicht verstand, was sie bedeuteten.
    Sie stand vor einer gewaltigen Mauer, klammerte sich daran, versuchte, sie mit bloßen Händen einzureißen. Die Mauer war nicht aus Ziegeln oder anderem Stein, sondern aus zahllosen Tausenden Scheiben, deren jede zur Hälfte weiß und zur Hälfte schwarz war, das uralte Symbol der Aes Sedai, wie die sieben Siegel, die einst das Gefängnis des Dunklen Königs verschlossen hielten. Einige jener Siegel waren jetzt gebrochen, obwohl nicht einmal die Eine Macht Cuendillar brechen konnte, und die restlichen waren auf irgendeine Weise schwächer geworden, aber die Mauer hielt stand, wie sehr sie auch dagegen anging.
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