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Wolken über Ebou

Wolken über Ebou

Titel: Wolken über Ebou
Autoren: Robert Jordan
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Sie konnte sie nicht einreißen. Vielleicht war das Symbol von Bedeutung. Vielleicht versuchte sie, die Aes Sedai niederzuzwingen, die Weiße Burg einzureißen. Vielleicht...
    Mat saß auf einem von der Nacht verhüllten Hügelkamm und beobachtete das Schauspiel eines großen Feuerwerkers, und plötzlich hob er ruckartig die Hand und ergriff eines jener aufbrechenden Lichter am Himmel. Feuerpfeile schossen aus seiner geschlossenen Faust, und Egwene war von Furcht durchdrungen. Deswegen würden Menschen sterben. Die Welt würde sich verändern. Aber die Welt veränderte sich tatsächlich bereits. Sie veränderte sich ständig.
    Riemen um Taille und Schultern hielten sie auf dem Block fest, und die Axt des Henkers sank herab, aber sie wußte, daß irgendwo jemand lief, und wenn er schnell genug lief, würde die Axt innehalten. Wenn nicht... Sie verspürte in jenem Winkel ihres Bewußtseins ein Schaudern.
    Logain trat lachend über etwas auf dem Boden hinweg und stieg auf einen schwarzen Fels. Als Egwene hinabschaute, glaubte sie, es sei Rands Körper gewesen, über den er hinweggetreten war, der mit auf der Brust gekreuzten Händen auf einer Totenbahre lag, aber als sie sein Gesicht berührte, zerfiel es.
    Ein goldener Falke streckte seine Flügel aus und berührte sie, und sie und der Falke waren irgendwie aneinander gebunden. Sie wußte nur, daß der Falke weiblich war. Ein Mann lag sterbend in einem schmalen Bett, und es war wichtig, daß er nicht starb, aber draußen wurde ein Scheiterhaufen zur Leichenverbrennung errichtet, und Stimmen erhoben Gesänge von Freude und Trauer. Ein dunkelhäutiger junger Mann hielt einen Gegenstand in der Hand, der so hell leuchtete, daß sie nicht sehen konnte, was es war.
    Sie kamen immer näher, und sie überlegte fieberhaft, versuchte verzweifelt zu verstehen. Sie kam nicht zur Ruhe, aber es mußte getan werden. Sie würde tun, was nötig war.

KAPITEL 2
    Ein Eid
    »Ihr wolltet vor Sonnenaufgang geweckt werden, Mutter.«
    Egwene öffnete ruckartig die Augen - sie hatte sich selbst kurz darauf aufwecken wollen - und schrak wider Willen vor dem Gesicht über ihr zurück. Der strenge Ausdruck des von einem Schweißfilm überzogenen Gesichts war kein erfreulicher erster Anblick am Morgen. Meri verhielt sich vollkommen respektvoll, aber sie rümpfte die Nase und hatte ständig die Mundwinkel nach unten gezogen. Ihre dunklen Augen blickten kritisch drein und vermittelten den Eindruck, als habe sie niemals jemanden kennengelernt der auch nur halb so gut war, wie er sein sollte oder wie er zu sein vorgab, und ihre tonlose Stimme verlieh allen Worten eine andere Bedeutung.
    »Ich hoffe, Ihr hattet eine angenehme Nacht, Mutter«, sagte sie, während ihr Gesichtsausdruck besagte, sie halte Egwene für faul. Ihr schwarzes Haar, das in festen Rollen über den Ohren aufgesteckt war, schien ihr Gesicht schmerzhaft zu verziehen. Das ungemilderte, triste Dunkelgrau, das sie stets trug, wie sehr sie auch darin schwitzte, trug noch zu dem düsteren Eindruck bei.
    Egwene hatte nicht mehr richtig geschlafen. Sie stand gähnend von ihrem schmalen Bett auf, putzte sich die Zähne mit Salz und wusch sich Gesicht und Hände, während Meri ihr die Kleidung für diesen Tag zurechtlegte und sie dann drängte, sich anzuziehen. ›Drängen‹ war die richtige Bezeichnung.
    »Ich fürchte, es wird ziepen, Mutter«, murmelte die freudlose Frau, während sie die Bürste durch Egwenes Haare zog, und Egwene hätte beinahe erwidert, sie habe ihr Haar nicht absichtlich im Schlaf verwirrt.
    »Ich nehme an, daß wir hier heute einen Ruhetag einlegen, Mutter.« Bleierne Trägheit umgab Meris Spiegelbild.
    »Diese Blauschattierung wird Eure Hautfarbe gut hervorheben, Mutter«, sagte sie, während sie Egwenes Knöpfe schloß, wohingegen ihr Gesichtsausdruck Egwene der Eitelkeit bezichtigte.
    Voller Erleichterung darüber, daß heute abend Chesa dasein würde, legte Egwene sich die Stola um und floh beinahe, bevor die Frau ihre Aufgabe beendet hatte.
    Über den Hügeln im Osten war noch keine Sonne zu sehen. Das Land erhob sich ringsumher zu langgezogenen Gebirgskämmen und unregelmäßigen Hügeln, manche Hunderte Fuß hoch, was häufig den Eindruck erweckte, als hätten gewaltige Finger sie zusammengepreßt. Schatten und Zwielicht überzogen das in einem der dazwischen liegenden Täler errichtete Lager, das aber in der niemals wirklich schwindenden Hitze schon erwacht war. Frühstücksdüfte erfüllten die Luft, und
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