Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wolfstraeume Roman

Wolfstraeume Roman

Titel: Wolfstraeume Roman
Autoren: Alisa Sheckley
Vom Netzwerk:
in meinen Ohren wider, als hätte er die Anschuldigung laut ausgesprochen. Ich ärgerte mich, wusste ich doch, dass die Hautfarbe des Jungen nichts mit meinem kurzen Verdacht zu tun hatte.
    Trotzdem wandte ich mich mit geröteten Wangen beschämt ab. Mir wurde auf einmal klar, dass mich dieser Mann schon eine ganze Weile über beobachtet hatte. Vielleicht hatte er sogar gesehen, wie mir die Handtasche gestohlen worden war, und es nicht für nötig befunden, mich zu warnen. Wut stieg in mir auf. Mein Herz pochte heftig, und ich verspürte das dringende Bedürfnis, ihn der Mitwisserschaft oder zumindest der Gleichgültigkeit zu bezichtigen. Wieder blickte er mich an, als könnte er auch diesmal meine Gedanken lesen. In diesem Augenblick kam die U-Bahn erneut zum Stehen. Ohne eine Entscheidung zu treffen, was ich als Nächstes tun wollte, drängelte ich mich durch die Menge der Fahrgäste dem Ausgang zu.
    Draußen auf dem Bahnsteig versuchte ich, meine verwirrten Gedanken zu ordnen. Ich war für meinen Rundgang in der Klinik auch jetzt schon spät dran, aber ich konnte es trotzdem nicht riskieren, bis zur Mittagspause zu warten,
ehe ich meine Kreditkarten als gestohlen meldete. Außerdem besaß der Dieb meinen Hausschlüssel und die dazu gehörige Adresse. Ich musste sofort meinen Mann verständigen, um die Schlösser austauschen zu lassen.
    Instinktiv wollte ich mein Handy herausholen, ehe mir bewusst wurde, dass ich a auch dieses nicht mehr besaß. Ich machte mich also auf den Weg zur Bahnhofsvorsteherin, die in ihrem Plexiglashäuschen oben hinter den Sperren saß und zuerst vorgab, taub zu sein.
    »Entschuldigung«, sagte ich zum dritten Mal und versuchte, nicht hysterisch zu klingen. »Mir wurde gerade meine Handtasche gestohlen. Könnte ich vielleicht von Ihrem Telefon aus ein kurzes Ortsgespräch führen?«
    »Ich rufe für Sie an«, erwiderte die Frau knapp, die offenbar annahm, dass es sich um ein geschicktes Täuschungsmanöver handelte, mit dem das New Yorker Verkehrsnetz betrogen werden sollte. Vielleicht wäre ein hysterischerer Tonfall doch besser gewesen. Ich nannte ihr also notgedrungen unsere Telefonnummer und wartete dann nervös, während sie gelangweilt wählte.
    »Niemand zu Hause.« Sie bedachte mich mit einem desinteressierten Blick.
    »Er ist bestimmt zu Hause. Er schläft nur, weil er einen schweren Jetlag hat. Könnten Sie es bitte noch einmal versuchen?« Mein Mann war erst am Abend zuvor aus Rumänien zurückgekehrt. Er war vor Erschöpfung richtig blass gewesen und hatte mindestens sieben Kilo Gewicht verloren. So dünn hatte ich ihn noch nie gesehen.
    Die Bahnhofsvorsteherin starrte mich einen Moment lang an, als müsste sie erst abwägen, ob sie dieser erneuten Bitte nachkommen sollte. Nach einer halben Ewigkeit
wählte sie schließlich von neuem die Nummer, wozu sie einen Kugelschreiber benutzte, um ihre überlangen Fingernägel nicht zu beschädigen.
    Hunter, flehte ich innerlich. Bitte wach auf und heb ab. Ich hatte ihn erst eine Woche später zurückerwartet und war vor Schreck heftig zusammengezuckt, als er auf einmal die Tür öffnete, während ich gerade die Finger in einen Karton mit thailändischem Essen vom Tag zuvor steckte. Er leide an einer Darmgrippe, hatte er erklärt, und habe deshalb seinen Rückflug vorverlegt. Nein, er sei nicht in der Lage, mir jetzt alle Einzelheiten zu erläutern, und ja – wenn er einen Arzt bräuchte,würde er ihn rufen. Seinem Tonfall nach zu urteilen, hätte man annehmen können, dass wir uns in einer Auseinandersetzung befanden. Ich tat jedoch so, als würde mir das gar nicht auffallen.
    Ich war um dreiundzwanzig Uhr zu Bett gegangen und recht schnell eingeschlafen, was für mich ziemlich ungewöhnlich war. Keine Ahnung, wann sich Hunter dann schlafen legte. Doch als ich um drei Uhr morgens aufwachte, stellte ich fest, dass er neben mir lag und leise durch seine hübsche, gebrochene Nase schnarchte. Einen kurzen Augenblick lang wünschte ich ihn mir wieder fort, um meiner chronischen Schlaflosigkeit ohne Rücksicht frönen zu können. Ich wollte das Licht anschalten, durchs Fernsehprogramm zappen und in Ruhe bröseliges Müsli und Cornflakes im Bett essen.
    Doch dann schmiegte er sich an mich – eine seltene Geste der Intimität -, und ich spürte seinen warmen Atem auf meinem Nacken. Ich genoss die Nähe und blieb regungslos liegen, während mein linker Arm einschlief und Hunter wieder zu schnarchen begann.

    Auch jetzt wollte ich ihn
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher