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Wolfsruf

Titel: Wolfsruf
Autoren: S.P. Somtow
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und der Handrücken schimmerte silbern, fast als wäre er fellbedeckt. Es musste das Mondlicht sein.
    »Mrs Dupré?« Ich unterdrückte ein Schaudern und wandte mich von dem Ober ab. »Oder darf ich Sie Carrie nennen?«
    »Natürlich können Sie das … Sterling.« Er hob sein Weinglas. Wir tranken. Ich nahm einen großen Schluck, größer, als mir gut tat. James füllte unsere Gläser von Neuem und brachte uns beiden eine Schale klarer Brühe, einfach, aber warm. Preston gesellte sich zu uns. Wieder sah er mich mit diesem zugleich beleidigenden und verlangenden Blick an. Und ich erinnerte mich immer genauer an diese eine Nacht in Berkeley. Es war nach einer Vorlesung von Professor Murphy gewesen …
    »Der Killer von Laramie«, sagte Dr. La Loge abrupt. »Wahrscheinlich möchten Sie ihn möglichst bald kennenlernen?«
    »Ja, bitte. So bald wie möglich.«
    »Gut. Aber was versprechen Sie sich eigentlich davon? Er ist bloß ein trauriger alter Mann. Es ist alles so lange her.«
    »Nun, es gibt gewisse familiäre Verbindungen«, sagte ich. »Das heißt, es könnte vielleicht welche geben. Aber eigentlich ist es … nun, Romantik und Sensationslust. Ein kleines Dorf in Amerika während der Depression … eine Reihe von unerklärlichen, bizarren Morden; die Opfer sehen aus, als wäre eine Bestie über sie hergefallen … Jonas Kay, ein Wahnsinniger, wird vor Gericht gestellt … aber es gibt keine Verhandlung … und dann wird alles vertuscht. Der Killer von Laramie wird über die Staatsgrenze nach South Dakota in eine obskure Klinik gebracht … und die ganze Geschichte verläuft im Sande.«
    »Bis Carrie Dupré, die Superreporterin, den Fall von Neuem aufrollt?«, sagte Preston hämisch grinsend.
    Damit hatte ich gerechnet. »Ich bin eine selbstbewusste Frau«, erklärte ich, versuchte aber, nicht allzu überheblich zu wirken. »Ich bin keine Lois Lane. Meinetwegen kann Supermann ruhig auf Krypton bleiben.«
    Dr. La Loge lachte. »Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus, Preston.«
    Preston löffelte mürrisch seine Suppe.
    »Hähnchen oder Fisch?«, fragte James mit Grabesstimme.
    »Ignorieren Sie seinen Auftritt einfach«, beruhigte mich
La Loge mit humorvoll funkelnden Augen. »Ich glaube, es hat einen gewissen therapeutischen Nutzen, meinen Sie nicht auch? Diese Schauspielerei, meine ich, dieser Butler-Auftritt.«
    »Hühnchen«, sagte ich nervös.
    James stellte einen dampfenden Teller vor mir ab. Er zog seine Hand zurück, bevor ich sie genauer betrachten konnte. Nachdem La Loge jetzt zur Sache zu kommen schien, holte ich mein Notizbuch aus meiner Tasche und klappte es auf.
    »Mich würde interessieren«, begann ich, »warum das Szymanowski-Institut …«
    »Sie sollten gleich lernen, es richtig auszusprechen«, unterbrach mich La Loge. »Schiman off ski. So. Es besteht übrigens keine Verbindung zu dem berühmten polnischen Komponisten, der die Oper König Roger schrieb.«
    Ich hatte noch nie von jemandem dieses Namens gehört und wusste nicht, ob er mich an der Nase herumführte. Ich beschloss, diese Bemerkung zu ignorieren, aber ich wiederholte den Namen diesmal mit der richtigen Betonung. »Warum hat das Szymanowski-Institut solche Anstrengungen unternommen, um an Jonas Kay heranzukommen? Hat das Institut nicht sogar Mittel bereitgestellt, mit denen ein berühmter Anwalt bezahlt wurde? Ist es nicht deshalb nie zu einem Prozess gekommen?«
    »Jonas Kay ist ein sehr kranker Mann, Carrie. Wie Sie auch noch feststellen werden. Und wir im Institut interessieren uns besonders für … solche Fälle.«
    »Solche Fälle?«
    »Nun, der Killer von Laramie war … ist kein Durchschnittspsychopath. Er leidet nicht einmal an einer Psychose.«
    »Wollen Sie mir weismachen, er ist ganz gesund?«
    »Das nicht. Er besitzt eine multiple Persönlichkeit.«
    »Richtig«, sagte ich. »Er ist schizophren.«
    »Lassen Sie mich eines klarstellen, bevor ich Sie mit unserem Freund bekannt mache, Carrie. Er ist nicht schizophren.
Multiple Persönlichkeit wird als Neurose, nicht als Psychose definiert. Die meisten seiner Persönlichkeiten sind sehr charmante Menschen. Einige sind sogar sehr talentiert. Eine Persönlichkeit ist ein brillanter Pianist. Manche verhalten sich in Gesellschaft recht ungeschickt, aber deswegen wurde noch kein Mensch verurteilt. Eine ist sogar weiblich. Unglücklicherweise ist aber eine dieser Persönlichkeiten nicht so … normal wie die anderen.«
    »Die eine, die all die Menschen umbrachte.«
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