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Wolfsblut

Wolfsblut

Titel: Wolfsblut
Autoren: Jack London
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übel, Doktor, aber es muß alles aufgeboten werden, wissen Sie.«
    Der Doktor lächelte mitleidig. »Natürlich, natürlich, ich verstehe das. Er verdient es, daß alles für ihn getan wird. Übrigens muß er wie ein krankes Kind gepflegt werden. Vergessen Sie nicht, was ich Ihnen über die Temperatur gesagt habe. Um zehn bin ich wieder da.«
    Und wie wurde Wolfsblut gepflegt! Der Vorschlag des Richters, eine Krankenpflegerin kommen zu lassen, wurde von seinen Töchtern mit großer Entrüstung zurückgewiesen, da sie selber die Pflege übernehmen wollten, und Wolfsblut kam, allem Zweifel und allen trüben Prophezeiungen des Doktors zum Trotz, mit dem Leben davon. Allerdings konnte man sich über dessen Voraussagen nicht wundern. Sein Leben lang hatte er nur verzärtelte Geschöpfe der Zivilisation behandelt, die, selber gehegt und gepflegt, von Generationen gehegter und gepflegter Wesen abstammten. Mit Wolfsblut verglichen waren sie Schwächlinge, die sich nur matt und schlaff an das Leben klammerten. Er jedoch kam geradewegs aus der Wildnis, wo die Schwachen früh untergehen und niemand verhätschelt wird. Weder sein Vater noch seine Mutter, noch seine Voreltern hatten irgendeine Schwäche gekannt. Eine Gesundheit von Eisen und die Lebenszähigkeit der Wildnis waren sein Erbteil geworden, und so hing er mit jeder Fiber seines Wesens am Leben und klammerte sich mit jener Hartnäckigkeit daran, die einst allen Geschöpfen eigen war.
    Wie ein Gefangener gefesselt und jeder Bewegung durch Binden und Gipsverbände beraubt, brachte Wolfsblut viele Monate zu. Er schlief viele Stunden lang, träumte viel, und an seinem Geiste zogen in endloser Reihe die Bilder des Nordlandes vorüber. Die Geister der Vergangenheit standen auf und umgaben ihn. Wieder war er bei Kische in der Höhle, wieder kroch er zitternd zu des Grauen Bibers Füßen, um ihm den Eid der Treue zu leisten, dann rannte er gehetzt umher, um sein Leben vor Liplip und der heulenden Rotte junger Hunde zu retten.
    Ein andermal lief er durch die schweigende Einöde während der großen Hungersnot und lauerte dem Wild auf, oder er befand sich an der Spitze des Gespanns, und Mitsah oder der Graue Biber knallte mit der großen Peitsche und schrie mit rauher Stimme: »Raa! Raa!«, wenn man an einen Hohlweg kam und das Gespann, wie ein zusammengeklappter Fächer, sich dicht aneinanderdrängen mußte. Dann durchlebte er wieder die Schreckenstage bei dem schönen Schmitt und die Kämpfe, in denen er dort ruhmreich gestritten hatte. Zu solchen Zeiten winselte und knurrte er im Schlafe, und dann sagten die Leute, daß er schlimme Träume habe.
    Am meisten jedoch litt er unter einer Vision, die wie ein Alp auf ihm lastete. Das war, wenn ihm die rasselnden tutenden Ungeheuer der elektrischen Wagen erschienen, die ihm wie ungeheure Luchse vorkamen. Er träumte dann wohl, er liege im Gebüsch verborgen und lauere darauf, daß ein Eichhörnchen sich von dem schützenden Baum entferne. Sprang er jedoch darauf zu, so pflegte sich dieses in einen elektrischen Wagen zu verwandeln, der sich schrecklich und drohend wie ein gewaltiger Berg über ihm erhob und fauchend und kreischend Feuer spie. Ein andermal verfolgte er mit den Augen einen hoch in der blauen Luft über ihm schwebenden Habicht, der sich beim Hinunterstoßen ebenfalls in den allgegenwärtigen Wagen verwandelte, oder er glaubte im Käfig des schönen Schmitt zu sein. Draußen hatten sich die Leute versammelt, und er wußte, ein Kampf stand bevor. Er beobachtete die Tür, durch die der Gegner eintreten sollte. Sie öffnete sich, und der fürchterliche Wagen wurde hineingeschoben. Das wiederholte sich unzähligemal, aber jedesmal war der Schreck so groß wie das erstemal.
    Endlich kam der Tag, wo der letzte Verband, die letzte Binde abgenommen wurde. Es war ein großer Festtag für ganz Sierra Vista, deren Bewohner sich um Wolfsblut versammelt hatten. Der Herr kraulte ihm die Ohren, und Wolfsblut grollte sein Liebeslied. Die Frau des Gebieters nannte ihn ›den lieben, guten Wolf‹, welcher Name beifällig von den andern Frauenzimmern aufgenommen wurde. Er versuchte sich auf die Füße zu stellen, allein immer wieder fiel er aus allzugroßer Schwäche zurück. Er hatte so lange gelegen, daß seine Muskeln alle Spannkraft verloren hatten und alle Kraft daraus verschwunden war. Er fühlte sich über seine Schwäche ein wenig beschämt, als sei er in dem Dienst, den er den Menschen schuldete, schlaff geworden. Darum machte
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