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Wolfsblut

Wolfsblut

Titel: Wolfsblut
Autoren: Jack London
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Dieser sah ihn nachdenklich an, machte ein paar Schritte vorwärts, kehrte wieder um und winselte leise. Der Herr sprach sanft, aber in ernstem Ton zu ihm, und Wolfsblut spitzte die Ohren und lauschte gespannt »Komm her, mein Alter, und höre mir zu. Renne spornstreichs nach Hause, hörst du?« gebot Scott. »Nach Hause! Und da erzähle, was mir passiert ist. – Nach Hause, Wolfsblut! Vorwärts nach Hause!«
    Wolfsblut kannte die Bedeutung des Befehls »Nach Hause!« Und wenn er auch das übrige nicht verstand, so wußte er doch, daß es der Wille des Herrn sei, daß er heimgehen solle. Er kehrte um und trabte widerstrebend hinweg. Nach einigen Schritten blieb er von neuem unentschieden stehen und blickte über die Schulter zurück. Abermals kam der Befehl »Nach Hause!«, und diesmal viel schärfer, und jetzt gehorchte Wolfsblut.
    Die Familie war in der Kühle des Nachmittags auf der Veranda versammelt, als Wolfsblut keuchend und staubbedeckt ankam.
    »Weedon ist zurück«, verkündete die Mutter. Die Kinder begrüßten Wolfsblut mit Jubel und rannten ihm entgegen. Er vermied sie, aber sie drängten ihn in eine Ecke der Veranda zwischen einen Schaukelstuhl und das Geländer. Er grollte und suchte an ihnen vorbeizukommen; besorgt blickte die Mutter nach den Kleinen hin.
    »Ich muß gestehen, ich ängstige mich immer um die Kinder«, bemerkte sie. »Ich habe stets Furcht, daß eines schönen Tages Wolfsblut sich unerwartet gegen sie kehren könnte.«
    Grimmig knurrend, sprang Wolfsblut aus dem Winkel heraus, wobei er die Kinder umwarf. Die Mutter rief sie zu sich, beruhigte sie und sagte ihnen, sie müßten Wolfsblut nicht belästigen.
    »Wolf bleibt Wolf!« verkündete Richter Scott. »Einem solchen ist nie recht zu trauen.«
    »Aber er ist nicht ganz ein Wolf«, mischte sich Betty ein, die in Abwesenheit des Bruders für dessen Hund Partei ergriff.
    »Das ist Weedons Meinung von der Sache«, entgegnete der Richter. »Auch vermutet er nur, daß ein gut Teil vom Hunde in ihm ist. Er selber sagt, er wisse nichts Bestimmtes darüber. Und was das Aussehen betrifft –«
    Er vollendete den Satz nicht. Wolfsblut stand vor ihm und grollte ingrimmig.
    »Geh fort und leg dich nieder«, gebot Richter Scott. – Wolfsblut wandte sich zu der Gattin des Gebieters. Die aber schrie vor Schreck auf, als er ihr Kleid mit den Zähnen ergriff und so sehr daran zerrte, daß das dünne Gewebe zerriß. Jetzt wurde er der Mittelpunkt des Interesses. In seinem Halse arbeitete es heftig, ohne daß er einen Ton von sich gab, sein ganzer Körper wand sich krampfhaft in der Anstrengung, einen Ausdruck für das zu finden, was in seinem Innern nach Mitteilung rang.
    »Hoffentlich wird er nicht toll«, bemerkte Weedons Mutter. »Ich habe zu Weedon immer gesagt, ich fürchte, das warme Klima bekommt einem Tier aus dem Norden nicht.«
    »Ich glaube, er möchte etwas sagen«, kündigte Betty an. – In dem Augenblick fand Wolfsblut wirklich die Sprache und machte sich in einem lauten Bellen Luft.
    »Es ist Weedon ein Unglück passiert«, entschied Weedons Frau. Alle sprangen auf, während Wolfsblut die Stufen hinablief und sich umblickte, ob man ihm auch folgte. Zum zweiten- und letztenmal in seinem Leben hatte er gebellt und sich dadurch verständlich gemacht.
    Nach diesem Ereignis trat er den Herzen der Bewohner von Sierra Vista noch näher, und selbst der Stallknecht, dem er den Arm aufgerissen hatte, gab zu, daß er, wenn auch ein Wolf, doch ein kluges Tier sei. Richter Scott war derselben Ansicht und bewies seine Meinung von der Abstammung Wolfsbluts unter dem lauten Widerspruch der andern Familienmitglieder durch Maße und Beschreibungen, die er dem Konversationslexikon und verschiedenen naturwissenschaftlichen Werken entnommen hatte.
    Die Tage kamen und gingen, und nie endender Sonnenschein überflutete das Tal von Santa Clara. Als aber die Tage kürzer wurden und Wolfsbluts zweiter Winter im Südland herannahte, da machte er die seltsame Entdeckung, daß Collies Zähne weniger scharf wären. Wenn sie ihn zauste, so geschah es mehr aus Neckerei und zum Scherz, ohne ihm wirklich weh zu tun. Er vergaß, daß sie ihm einst das Leben zur Last gemacht hatte, und wenn sie ihn spielend umkreiste, so ging er gravitätisch darauf ein und versuchte selbst mutwillig zu sein, wobei er eine höchst lächerliche Figur machte.
    Eines Tages jagte sie lange auf den Wiesen, ja selbst bis in den Wald hinein, mit ihm herum. Es war an einem Nachmittag, als der
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