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Wolfsblut

Wolfsblut

Titel: Wolfsblut
Autoren: Jack London
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auch zu lernen, daß er die Hühner anderer Leute nicht anrühren dürfe. Ferner gab es Katzen, Kaninchen und Puten, die er in Ruhe lassen mußte. Kurz, er hatte den Eindruck, als ob er alle lebendigen Geschöpfe unbehelligt lassen müßte. Wenn draußen auf einer Wiese eine Wachtel vor seiner Nase aufflatterte, so stand er vor Begierde zitternd zum Sprung bereit da, aber er bezwang sich, um dem Willen des Gebieters gehorsam zu sein.
    Eines Tages jedoch sah er, wie Dick auf der Wiese ein wildes Kaninchen aufscheuchte und verfolgte. Der Herr sah zu und legte sich nicht ins Mittel, sondern ermunterte noch Wolfsblut, an der Jagd teilzunehmen. Also merkte er, daß die wilden Kaninchen vogelfrei seien und daß nur zwischen Haustieren keine Feindschaft, und wenn auch nicht Freundschaft, doch Neutralität herrschen müsse. Aber andere Tiere, wie Eichhörnchen, Wachteln und wilde Kaninchen, waren Geschöpfe der Wildnis und hatten dem Menschen keine Treue geschworen. Darum waren sie für einen Hund rechtmäßige Beute. Doch die zahmen Tiere schützte der Mensch: darum war mit ihnen allen tödliche Fehde verboten. Denn der Mensch hielt die Gewalt über Leben und Tod dieser seiner Untertanen in den Händen und war eifersüchtig darauf.
    Das Leben im Tal von Santa Clara war, mit dem einfachen im Polarland verglichen, höchst verwickelt. Was im Labyrinth der Zivilisation hauptsächlich verlangt wurde, war Selbstbeherrschung – eine Gewalt über sich selber, so zart wie die Flügel eines Schmetterlings und so fest und stark wie Stahl. Das Leben hatte hier ein tausendfaches Antlitz, und Wolfsblut sah ein, er müsse all den verschiedenen Gesichtern begegnen, wenn er zum Beispiel nach San Jose in die Stadt kam, wo er hinter dem Wagen herlief oder sich in den Straßen umhertrieb, wenn dieser hielt. Das Leben floß dort wie ein breiter, tiefer Strom in mannigfachen Windungen an ihm vorüber, beschäftigte fortwährend seine Sinne, forderte augenblickliche und unendlich schnelle Entschlüsse und zwang ihn fast immer, den natürlichen Trieben zuwiderzuhandeln.
    Da gab es Fleischerläden, wo das Fleisch im Bereich seiner Zähne hing; dennoch durfte er es nicht anrühren. Vor den Häusern, in denen der Herr Besuche machte, gab es Katzen, die er in Ruhe lassen mußte, überall waren Hunde, die ihn anknurrten, an denen er sich nicht vergreifen durfte. Auf den belebten Bürgersteigen wanderten zahllose Personen, deren Aufmerksamkeit er erregte. Sie pflegten stehenzubleiben und ihn anzuschauen, mit dem Finger auf ihn zu weisen, zu ihm zu sprechen und, was das schlimmste war, ihn zu streicheln. Die gefährliche Berührung von all den fremden Händen mußte er ertragen lernen, und er tat es, und was mehr war, er überwand dabei seine linkische Verlegenheit. Von oben herab nahm er die Aufmerksamkeiten der vielen, vielen fremden Menschen hin. Herablassend verhielt er sich gegen ihre Herablassung, doch war an ihm etwas, was allzugroße Vertraulichkeit verbot. Man klopfte ihm wohl auf den Kopf, aber ging weiter, zufrieden und froh über die eigene Kühnheit.
    Allein manches wurde ihm doch schwer. Wenn er so in den Vorstädten von San Jose hinter dem Wagen hertrabte, traf er manchmal kleine Jungen, die sich ein Vergnügen daraus machten, ihn mit Steinen zu werfen. Er wußte, er durfte sie nicht verfolgen und niederwerfen, und er mußte so dem Instinkt der Selbsterhaltung Gewalt antun, aber er tat es, weil er immer zivilisierter und zahmer wurde. Nichtsdestoweniger fühlte er sich damit nicht einverstanden. Er hatte von Gerechtigkeit und Billigkeit keine abstrakte Vorstellung, aber in jedem lebenden Wesen wohnt ein Gerechtigkeitsgefühl, und es empörte ihn, daß er sich gegen solche Jungen nicht verteidigen durfte. Er vergaß, daß in dem Bündnis, das er mit dem Menschen gemacht hatte, dieser sich verpflichtet hatte, für ihn zu sorgen und ihn zu beschützen. Also sprang auch eines Tages der Herr mit der Peitsche in der Hand vom Wagen herab und gab den Knaben, die Wolfsblut mit Steinen warfen, eine tüchtige Tracht Prügel. Von nun an hörten sie auf, diesen mit Steinen zu werfen, und Wolfsblut verstand und war zufrieden.
    Bald darauf machte er eine Erfahrung ähnlicher Art. Auf dem Wege zur Stadt lungerten bei einem Wirtshaus am Kreuzweg stets drei Hunde, die sich ein Vergnügen daraus machten, über ihn herzustürzen, wenn er vorüberkam. Aber der Herr, der Wolfsbluts tödliche Kampfesweise kannte, hatte es ihm eingeschärft, daß er nicht
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