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Wolf unter Wölfen

Wolf unter Wölfen

Titel: Wolf unter Wölfen
Autoren: H Fallada
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war dunkel, es war still. War nicht Pagel auch ein Sohn, der verloren war und nun heimkehrte? Sie kehrte jetzt auch heim! Fremd – fremd geworden, die Kinder kennen die Eltern nicht mehr. Bist du das? fragt die Mutter. Ach, das Leben, das Leben! Wir halten nicht, ob wir wollen oder nicht, wir gleiten, wir eilen – ruhelos, ewig verwandelt. Zum Gestern sagen wir die Frage: Bist du das? – Ich kenne dich nicht mehr! Halte doch ein! Halte ein –! Fort –!
    Es fährt der Wagen und fährt. Manchmal werfen die Wände schlafender Dörfer das Motorengeräusch lauter zurück, dann wieder ist nur die leise surrende Stille der Landstraße da. Hatte Pagel geglaubt, er würde freudig, er würde erregt die Tochter der Mutter wiederbringen? Schließlich war er bloß müde und abgespannt. Er führte ein langsames, schläfriges, manchmal ein bißchen gereiztes Gespräch mit der Amanda, die wissen wollte, was sie denn nun eigentlich in Berlin tun sollte, wenn die gnädige Frau ihre Hilfe nicht wünschte?
    »Ich weiß es nicht, Amanda«, sagte Pagel gequält. »Sie haben ganz recht, es war unüberlegt. Aber ich weiß es nicht …«
    Dann versickerte auch das. Als sei niemand Besonderes im Wagen, keine Tochter, die man hundertmal tot geglaubt und die dem Leben wiedergegeben war, als sei es irgendeine gleichgültige, ja, ein bißchen lästige Fuhre. Mehr nicht …
    Schließlich stand er dann in der Hotelhalle. Es war morgens halb drei. Mit Mühe nur hatte er erreicht, daß ihn der Nachtportier mit dem Zimmer von Frau von Prackwitz verband.
    »Ja, was ist denn?« fragte die aufgeschreckte Frauenstimme.
    »Hier ist Pagel. – Ich bin unten in der Hotelhalle. – Ich bringe Fräulein Violet.« Und nun doch, statt des langsamen ruhigen Redens: »Ach, gnädige Frau …« Er brach wieder ab. Er wußte nicht weiter.
    Eine lange, lange Stille. Es war so still, so still …
    Dann sprach eine ferne, leise Stimme: »Ich – komme.«
    Nichts mehr. Pagel legte den Hörer auf.
    Und – es konnten kaum einige Minuten vergangen sein – da kam Frau Eva von Prackwitz die Treppe hinunter, dieselbe breite, mit einem roten Läufer belegte Treppe, die einst Herr von Studmann herabgestürzt war. (Aber daran dachte Pagel jetzt nicht – und doch hatte ihn dieser Sturz – und einige andere Dinge mehr – nach Neulohe gebracht.)
    Sie ging auf Pagel zu, weiß, sehr ruhig – sie sah ihn kaum, sie fragte nur: »Wo –?«
    »Im Wagen«, sagte Pagel und ging ihr voran. Ach, er hätte vielerlei zu sagen gehabt, und er hatte gemeint, sie würde vielerlei zu fragen haben – aber nein, nichts. Nur dies eine »Wo –?«
    Er öffnete die Wagentür.
    Die Frau schob ihn zur Seite, sie fragte nichts, sie wußte nichts. Sie sagte nur: »Komm jetzt, Violet.«
    Ach ja, dies war wohl die rechte Art, zu einem kranken Mädchen, zu einer verwirrten Seele du zu sagen. Sie hatten es nicht gekonnt. Sie konnte es.
    Die Gestalt stand auf, sie kam aus dem Wagen. Einen Augenblick sah Pagel das Profil, den festgeschlossenen Mund, die tiefgesenkten Lider …
    »Komm, Kind«, sagte die Frau und gab ihr den Arm.
    Sie gingen hinein in das Hotel, sie gingen hinaus aus Pagels Leben – er stand vergessen auf der Straße.
    »Und wohin jetzt, Herr?« fragte der Chauffeur.
    »Wie?!« sagte Pagel erwachend. »Ach so, in irgendein kleines Hotel hier in der Nähe. Ganz egal.«
    Und leise, die Hand der andern nehmend: »Aber weine doch nicht, Amanda! Warum weinst du denn, Amanda?«
    Und doch war auch ihm, als müßte er weinen, weinen, weinen – aber warum?
    Nein, er wußte es nicht. Er wußte es auch nicht.

SECHZEHNTES KAPITEL
Die Wunder der Rentenmark

1
    Wir haben einen weiten Weg gehabt, oft haben wir uns aufhalten müssen unterwegs – nun haben wir es eilig! Als wir anfingen, war es Sommer, fast ein Jahr ist seitdem vergangen. Es ist wieder grün draußen, es blüht, eine Ernte wächst heran – und drinnen in der Stadt, im Zimmer der Frau Thumann, der Pottmadamm, hängen in der stickigen Hitze die gelbgrauen Gardinen wieder reglos – wir wissen es nicht, wir nehmen es an. Draußen und drinnen – es ist alles dasselbe.
    Es ist alles ganz anders. So wenig ist geschehen: Ein Mann kam, und es war aus mit den unsinnigen, den liederlichen Scheinen mit den astronomischen Ziffern. Zu Anfang sahen die Leute das Geld verblüfft an, es war nur eine Eins darauf oder eine Zwei oder eine Zehn. Standen zwei Nullen hinter der Ziffer, war es schon ein sehr großer Schein, nein, wie komisch! Da man
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