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Wolf unter Wölfen

Wolf unter Wölfen

Titel: Wolf unter Wölfen
Autoren: H Fallada
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Studmann sitzt gerne hier. Es ist still, in der Sommerzeit hat kein Mensch Zeit, auf den Kirchhof zu kommen, niemand stört ihn. Die Vögel singen, jenseits der Feldsteinmauer, auf der Dorfstraße, knarren die Erntefuder. Studmann sieht den Stein an, er denkt an das junge Mädchen. Helene Siebenrot hat sie geheißen, sechzehn Jahre – sie war des Schwimmens unkundig. Sie war hilfsbereit, aber sie brauchte selber Hilfe. Er war hilfsbereit – doch auch er war des Schwimmens unkundig.
    Der Geheimrat Schröck ist sehr zufrieden mit ihm, die Kranken mögen ihn gerne, das Personal hat nichts an ihmauszusetzen – Herr von Studmann kann lange bleiben in diesem Sanatorium, er kann hier alt werden, er kann sterben in dem Sanatorium.
    Der Gedanke hat nichts Abschreckendes für ihn. Es gefällt ihm, so wie er lebt, er möchte nicht wieder draußen sein in der Welt der Gesunden – er ist des Schwimmens unkundig. Er hat entdeckt, daß ihm etwas fehlt, was die andern haben: Er kann sich dem Leben nicht anpassen. Er trägt einen Maßstab in sich, er wollte, daß das Leben sich diesem Maßstab fügte. Das Leben tat es nicht, Herr von Studmann scheiterte. In großen und in kleinen Dingen. Er konnte keine Konzessionen machen.
    »Ach was!« konnte der alte Geheime Sanitätsrat rufen. »Sie sind einfach eine alte Jungfer in Hosen!«
    Herr von Studmann lächelte bloß. Er antwortete nicht. So weit war er nun doch, daß er dem keine Lehren gab, der unbelehrbar ist.
    Des Schwimmens unkundig, das war es.
    Im übrigen wird Herr von Studmann einen ausgezeichneten, unübertrefflichen Onkel für die Pagelschen Kinder abgeben. Er hat den Plan, seinen Urlaub mit Pagels zu verbringen. Nur der Gedanke an die junge, ihm noch unbekannte Frau stört ihn. Frauen sind so – unverständlich! Nein, er hat nichts von einer Frau an sich, nichts von einer alten Jungfer. Der Sanitätsrat hatte Unsinn geredet. Frauen, verheiratete und ledige, sind ihm ganz fremd. Aber schließlich kann man ja Onkel werden – ohne diesen schwierigen Umgang. Vermutlich wird er doch mit Pagels reisen. Unkundig des Schwimmens!

8
    Ein wenig ist die Stadt von der Nacht abgekühlt, ein wenig frischer Wind bewegt die weißen Gardinen. Die Frau ist aufgewacht, sie hat die kleine Nachttischlampe angezündet, sie sieht – wie so oft – in das andere Bett hinüber.
    Der Mann schläft. Er liegt auf der Seite, ein wenig zusammengekrümmt, das Gesicht ist friedlich, still. Das etwas krause blonde Haar gibt ihm ein kindliches, jungenhaftes Aussehen, die Unterlippe ist vorgeschoben.
    Die Frau forscht in diesen vertrauten Zügen, aber keine Unruhe entstellt sie, keine Sorge quält sie.
    In manchen Nächten fängt er an zu sprechen, er hat Angst, er ruft … Dann weckt sie ihn, sie sagt nur: »Du denkst wieder daran.«
    Sie reden eine Weile, und dann schlafen sie wieder ein.
    Es gab eine Zeit, da war ihm viel aufgeladen, aber er hat durchgehalten. Er hielt nur durch? Nein, es machte ihn stark, er entdeckte etwas in sich, das ihm Halt gab, etwas Unzerstörbares, einen Willen. Einmal war er bloß liebenswürdig gewesen – dann wurde er der Liebe würdig.
    Die junge Frau lächelt – sie lächelt dem Leben zu, dem Mann, dem Glück …
    Es ist kein Glück, das von äußeren Dingen abhängig ist, es ruht in ihr, wie der Kern in der Nuß. Eine Frau, die liebt und sich geliebt weiß, kennt das Glück, das immer bei ihr ist, wie ein seliges Geflüster im Ohr – den Lärm des Tages übertönend. Eine liebende Geliebte ist das ruhige Glück, dem nichts mehr zu wünschen bleibt.
    Sie wirft noch einmal einen Blick durch die Stube, keine Höhle, eine Stube. Sie hört die Atemzüge vom Mann, dann, leiser und schneller, die des Kindes. Sachte bewegen sich die weißen Vorhänge.
    Es ist alles ganz anders geworden.
    Sie löscht das Licht.
    Gute Nacht. Gute, gute Nacht!

Informationen zum Buch
    Der große Epochenroman
     
    Auf dem Höhepunkt der Inflation: Drei ehemalige Soldaten versuchen im hektischen Berlin und auf dem Rittergut Neulohe trotz rasender Geldentwertung ihr Schicksal in die Hand zu nehmen. – Hans Fallada hat den Roman über die Schrecken der Inflation geschrieben, eine epische Chronik jener dramatischen Zeit, in der viele ihr Glück suchten, aber nur wenige es fanden.
     
    »Eine raffinierte Reportage, bestechend in ihrer Schilderung menschlicher Abgründigkeiten.«
    Der Spiegel

Informationen zum Autor
    RUDOLF DITZEN alias HANS FALLADA (1893–1947), zwischen 1915 und 1925 Rendant auf
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