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Wolf Shadow Bd. 3 - Dunkles Verlangen

Wolf Shadow Bd. 3 - Dunkles Verlangen

Titel: Wolf Shadow Bd. 3 - Dunkles Verlangen
Autoren: Eileen Wilks
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hochsteigen würde, nun, da er ein Nokolai war, aber offenbar war ihm dieses Glück nicht vergönnt.
    Cullen richtete sich auf, rieb sich mit beiden Handflächen über das Gesicht und drehte sich in der Taille, um seine Wirbelsäule zu lockern. Anscheinend gingen die durchwachten Nächte und die Wanderungen durch den Dschungel nicht spurlos an ihm vorbei. Wie viel Uhr war es eigentlich?
    Er nahm das Telefon, das, weitab von irgendeinem Funkturm, eher eine Uhr war als ein Kommunikationsmittel. Das leuchtende Display informierte ihn darüber, dass jetzt eigentlich nicht die rechte Zeit zum Schlafen war. Nun, jetzt war er wach.
    Was hatte ihn aufgeweckt?
    Er runzelte die Stirn. Der Traum? Aber bis jetzt war er nie aufgewacht von diesem Traum. Er horchte, schnüffelte, aber er hörte oder roch nichts Ungewöhnliches …
    Dann spürte er es wieder. Etwas kitzelte an seinen Schutzschilden, sanft wie eine Feder.
    Instinktiv zog er sie enger. Was zum Teufel …?
    Dann lächelte er. Natürlich. Jemand hatte ihn bemerkt und versuchte nun, ihn abzuwehren. Wer sonst könnte es sein als die, die er suchte?
    Seine Hand fuhr zur Brust, wo die längere seiner beiden Halsketten baumelte. Er öffnete den Beutel – Leder, mit Seide bezogen – und leerte ihn aus. Einen Augenblick lang drehte er den Gegenstand zwischen seinen Fingern, genoss das Gefühl.
    Er war hart und glatt wie Glas und hatte die Form eines großen Blütenblatts. Die Ränder waren so scharf, dass er ihn nur ganz vorsichtig anfasste. Im Tageslicht, das wusste er, würde er dunkelgrau schillern, als wäre er mit öligem Wasser überzogen. Aber jetzt konnten seine Augen ihn kaum ausmachen.
    Doch Cullen war nicht nur auf seine Augen angewiesen, um zu sehen. Und die Blendung, die man ihm kürzlich zugefügt hatte, die aber inzwischen verheilt war, hatte seinen anderen Blick nur noch schärfer gemacht. Mit diesem Blick sah er Farben, lebendige, leuchtende Farben. Blau für Wasser, Silber für Luft, Braun für Erde. Rote, gelbe, grüne Funken – alle Farben der Magie tanzten durcheinander. Aber darunter … unter all diesen Farben lag tiefstes Purpur, so dunkel, dass es fast schwarz war.
    Purpur, die Farbe der Andersblütigen. Was er in den Händen hielt, stammte von der ältesten magischen Art, von der, die reiner war als alle anderen. Möglicherweise, dachte Cullen, als er jetzt mit dem Daumen darüberstrich, hatte seit vier- oder fünfhundert Jahren niemand mehr so etwas in der Hand gehalten.
    Eine Drachenschuppe, erst vor so kurzer Zeit von ihrem Besitzer abgestoßen, dass seine Magie darin noch lebendig war.
    Ein Drache, der vielleicht auf der Suche nach Cullen war, so wie Cullen auf der Suche nach ihm war – wenn auch aus anderen Gründen. Er grinste in der Dunkelheit, während sich seine Hand um die scharfen Kanten seines Schatzes schloss.
    20. Dezember, 10.52 Uhr (Ortszeit)
    20. Dezember, 02.52 Uhr ( GMT )
    Achtzig Kilometer außerhalb von Chengdu in der Provinz von Sichuan, China, erklomm eine alte Frau einen Berg, einen recht niedrigen Berg, zugegebenermaßen, obwohl der Pfad steil anstieg. Im Winter nahmen nur wenige diesen Pfad, aber heute fiel kein Schnee. Die Sonne stand am Himmel wie ein glänzender Kiesel.
    Sie war nicht allein. Fünf weitere Menschen folgten ihr in einigem Abstand. Vielleicht waren sie nicht so versessen darauf wie sie, den taoistischen Tempel am Ende des Pfades zu erreichen. Die Kälte verärgerte Madam Li Lei Yu, denn sie zeigte ihr, dass sie älter wurde und einmal sterben würde. Auf der anderen Seite jedoch hatte sie diese Pilgerreise eben gerade deswegen unternommen, sowohl diese Wanderung den verdammten Berg hinauf als auch die Reise zurück in ihr Heimatland.
    Nachdem sie in Chengdu angekommen war, hatte sie erfahren, dass der Mann, wegen dem sie gekommen war – ein Mönch –, letztes Jahr gestorben war. Sie war böse auf An Du. Hätte er damit nicht noch ein bisschen warten können? Zwar würde sie jetzt sein Grab besuchen, aber sie konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dass sie es am liebsten so schnell wie möglich hinter sich gebracht hätte.
    Als es passierte, war sie noch sechshundert Meter vom Gipfel entfernt und nicht mehr in Sichtweite der anderen. Es war kein Schwindelanfall, obgleich sie nicht mehr wusste, wo oben und unten war. Sie wurde nicht blind oder taub, obwohl ihr grau vor Augen wurde und ihr Gehör schwand. Etwas Starkes und Fremdes fegte durch sie durch, blies ihre Sinne aus wie Kerzen und ließ sie
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