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Wofuer wir kaempfen

Wofuer wir kaempfen

Titel: Wofuer wir kaempfen
Autoren: Tino Kaeßner , Antje Kaeßner
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ganzen Feier und für mich damit der schönste Tag meines Lebens. Unsere Hochzeitsreise allerdings war sehr kurz. Tino musste nach zwei Tagen zurück ins Krankenhaus, weil die Entzündung in seinem Stumpf wieder kritisch wurde.

Die Fahrt zum Gardasee – Tinos Sportkarriere
    Tino ging in den kommenden Monaten beharrlich den Weg weiter, für den er sich schon kurz nach dem Erwachen aus dem Koma entschieden hatte. Er wollte unbedingt wieder Sport machen, seinen Körper spüren und ihn an seine Leistungsgrenzen bringen. Dass dieser Weg alles andere als einfach sein würde, zeigte sich schon bei den Komplikationen vor der Hochzeit. Doch mein Tino ist unbeirrbar. Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat, verfolgt er sein Ziel ohne Wenn und Aber. Wie hatte doch der Orthopädietechniker im Krankenhaus gesagt: »Du kannst alles, aber der Kopf muss mitspielen.« Daran durfte es also nicht scheitern. Wie Tino seine Sportkarriere vorantrieb, stellt er am besten selbst dar: »Das Jahr nach dem Anschlag war immer wieder von Rückschlägen, neuen Komplikationen am Stumpf, Entzündungen und Operationen bestimmt. Stefan und ich hatten fast zur gleichen Zeit Infektionen und so landeten wir immer wieder zur selben Zeit im selben Krankenzimmer und begrüßten uns schon fast wie ein altes Ehepaar. Aber wir haben uns davon nicht aufhalten lassen. Als ich nach der Reha aus dem Krankenhaus entlassen wurde, dachte ich mir, irgendwas Sinnvolles muss ich jetzt anfangen mit meiner Zeit. Ich wollte in Bewegung bleiben, was tun, mich beschäftigen und suchte nach einer Entwicklungsmöglichkeit für die Zeit nach der Bundeswehr. Mit Fernsehen und Computerspielen kann ich nichts anfangen. So habe ich im folgenden Sommer den Garten umgestaltet, eine Holzhütte gebaut, meinen Fahrradkeller eingerichtet und bin zu einem anderen Hobby aus meinen Jugendtagen zurückgekehrt: Auf einer zwei mal zwei Meter großen Holzplatte habe ich eine Modelleisenbahn aufgebaut. Drei Züge, Voralpenland, Berge,
Tunnels und eine Stadt, die wie Murnau aussieht. Dass ich nach Möglichkeiten suchte, mich zu beschäftigen, hatte auch noch einen anderen Grund: Ich merke bis heute stark aufkommende Unruhe, wenn ich zur Untätigkeit gezwungen bin. Als ich mal Grippe hatte, spürte ich, wie es in mir zu rumoren begann, wie etwas tief in mir mit den Ketten rasselt wie ein gefangenes Monster. Ich weiß nicht genau, was es ist, aber ich möchte nicht, dass dieses Etwas aus seinem Kerker entkommt. Vielleicht mache ich mir auch nur überflüssige Gedanken? Sicher kann es sein, dass ich auch mal eine längere Zeit der Untätigkeit überstehen würde, aber sollte ich das wirklich ausprobieren, meine Grenzen ausloten und mal sehen, welche Albträume da in mir hochkriechen? Manch einer wird da sagen: ›Der hat den Anschlag nicht verarbeitet, der will die Verarbeitung nicht zulassen, muss sich ablenken.‹ Das mag sein. Aber ich mache halt lieber Sport, als mich durch Untätigkeit ins Unglück zu grübeln. Ich kann eh nichts ändern an meinem Zustand, mein Bein ist weg – ich kann nur das Beste daraus machen. Und das Beste, was mir seit meiner frühen Jugend immer geholfen hat, mit mir im Reinen zu bleiben, war Radfahren.
    Ich bin mein ganzes Leben lang leidenschaftlich gern Rad gefahren, und so hatte ich schon kurz nach dem Verlassen der Intensivstation allen angekündigt, dass ich wieder Rad fahren werde und unserem Freund Mario geraten, er soll schon mal mit dem Trainieren anfangen, sonst würde ich ihn stehen lassen bei unserer ersten Tour. Geglaubt hat er es nicht. Noch im Dezember 2005 habe ich mit der Reha begonnen und schnell so große Fortschritte gemacht, dass ich Weihnachten 2005 ohne ärztliche Betreuung zu Hause bei meinen Eltern in Chemnitz verbringen konnte. Mit der neuen Prothese konnte ich sogar einen kurzen Spaziergang durch den Schnee wagen, was meine Eltern total begeistert hat. Drei Monate nach dem Anschlag im Frühjahr 2006 stand ich das erste Mal wieder auf Langlaufskiern
auf der Piste und habe Indoor an der Kletterwand trainiert. Ich habe dann langsam angefangen, mich wieder ans Radfahren zu gewöhnen, zunächst auf dem Heimtrainer. Die Prothese konnte ich dank des hervorragenden Orthopäden in der Unfallklinik Murnau perfekt für meinen Sport einstellen lassen. Jeder kann sich vorstellen, welchen Belastungen Knie und Prothese beim Radfahren ausgesetzt sind, wie schnell sich etwas wund reiben kann, wenn nicht alles perfekt abgestimmt ist. Ab April 2006, sechs
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