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Wofuer wir kaempfen

Wofuer wir kaempfen

Titel: Wofuer wir kaempfen
Autoren: Tino Kaeßner , Antje Kaeßner
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nach unserer Hochzeit, beschloss ich, von Murnau an den Gardasee nach Italien zu fahren. Die Überquerung der Alpen mit dem Rad war schon immer mein Traum. Die Idee war mir gekommen, nachdem ich im Mai den ›Riva Bike Marathon‹ am Gardasee gewonnen hatte. Es war mein erstes Rennen in diesem Jahr gewesen, den ganzen Winter über hatte ich kaum trainieren können, weil ich wegen der Splitter in meinem Bein immer wieder zu Nachoperationen ins Krankenhaus musste. Ich bin ohne
jede Illusion über meinen Zustand an den Gardasee gefahren und wollte einfach nur sehen, ob ich bei so einem Bergmarathon mit den anderen Fahrern mithalten kann bzw. überhaupt ins Ziel komme. Ich wurde Erster, und so beschloss ich, sechs Wochen später an den Ort meines Sieges zurückzukehren – aber nicht mit dem Auto, sondern mit dem Rad. Es sollte die größte Herausforderung meiner bisherigen Radsportkarriere sein. Am Ende dieser Tour würde ich wissen, ob ich die Strapazen einer Tour über 325 Kilometer und 2180 Höhenmeter aushalte und wie belastbar mein Stumpf unter Extrembedingungen ist.
    Morgens in der Früh losfahren und noch am Abend am Lago di Garda Spaghetti essen, so war der Plan – aber ich war mir nicht sicher, ob ich das wirklich schaffen würde. Alles würde davon abhängen, wie sich der Stumpf verhalten, ob er sich wundscheuern würde oder nicht. Körperlich und konditionsmäßig war ich nach intensivem Training und den weiteren Rennen der vorangegangenen Wochen topfit.
    Am 8. Juni 2009 um 4 Uhr 30 war es soweit. Es lag noch Nebel über dem Staffelsee, als ich mich von Antje verabschiedete. Mein Sportmanager Christian Kuhlmann war mit dem Begleitauto vorgefahren und sollte mich aufnehmen, falls das Bein oder die Prothese nicht mitspielen würde. Das Wetter meinte es gut mit uns, die Regenschauer der vergangenen Tage hatten sich verabschiedet und endlich war es wieder trocken. Um 4 Uhr 45 bin ich gestartet. Wir kamen gut voran: Mittenwald, Kilometer 52, um 6 Uhr 40. Innsbruck, Kilometer 100, um 8 Uhr 45. Hier begann der lange, kräftezehrende Anstieg zum Brennerpass. Um 10 Uhr 26 hatte ich bei Kilometer 137 die italienische Grenze oben auf dem Brenner und somit den höchsten Punkt der Tour erreicht. Ab jetzt schien mir die Sonne ins Gesicht; hinter dem Alpenkamm war das Wetter auf einen Schlag richtig schön geworden. Mein Stumpf
hatte bis hierher perfekt durchgehalten, was mir Hoffnung machte, dass ich die nächsten 200 Kilometer auch noch schaffen würde. Wir passierten die alte Grenzbastion der Österreicher, die Franzensfeste. Von nun an ging es erstmal immer bergab und bei gutem Tempo kamen wir rasch nach Brixen, wo wir eine Mittagspause einlegten. Ich rief Antje an und berichtete, dass in Italien endlich die Sonne scheint. Italienische Cappuccinourlaubsstimmung machte sich in mir breit. Um die aufkommende Müdigkeit wieder zu verjagen, sind wir nach kurzer Pause wieder aufgebrochen. In Bozen, bei Kilometer 229, verloren wir uns im Gewirr der Straßen und verpassten immer wieder die richtige Route. Es gibt dort kaum Radwege – geschweige denn Hinweisschilder. Das kostete alles viel Zeit und Kraft. In Trento dasselbe. Doch die eigentliche Prüfung kam erst, als wir endlich wieder auf ebener Strecke entlang der Etsch zum Gardasee fuhren. Hier kam zur langsam spürbaren Erschöpfung der starke Fönwind Ora auf, der fast jeden Nachmittag bis in die Abendstunden aus Süden bergan bläst. Ich hatte mit diesem Gegenwind ganz schön zu kämpfen und war froh, wenn noch 20 km/h auf dem Tacho stand. Der Gegenwind war der härteste Gegner auf dieser Tour. Auf diesem Abschnitt zählte jeder Kilometer doppelt: Meine Lunge hat gebrannt. Meine Muskeln haben gebrannt. Ich hätte nur noch kotzen können. In Rovereto wurde um 17 Uhr 30 noch mal Pause gemacht, um mir vor der letzten Etappe, dem Anstieg über den Passo San Giovanni durch die Ortschaften Mori, Loppio und Torbole nach Riva del Garda, Kraftreserven zu verschaffen. Der Pass hat zwar nur 287 Höhenmeter, aber mit seinen engen Kurven und bei dem hohen Verkehrsaufkommen forderte er noch einmal alles von mir. Doch dafür wurde ich oben mit einem unglaublichen Blick über den Gardasee belohnt, der unter mir in seiner ganzen Länge türkisfarben in der Sonne glitzerte. Ich kann Glück nicht anders beschreiben, als
mit diesem Anblick nach den stundenlangen Strapazen – ich wusste in diesem Augenblick, dass ich es geschafft habe. Nicht nur die Strecke von Murnau bis an den Gardassee
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