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Wofuer wir kaempfen

Wofuer wir kaempfen

Titel: Wofuer wir kaempfen
Autoren: Tino Kaeßner , Antje Kaeßner
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ist mir schlicht egal.
    Ich spüre auch keinen Hass auf das Land Afghanistan und die Menschen dort. Ich bin davon völlig frei und sicher ist das auch ein Grund, warum ich so gut loslassen konnte und meine Energie nutzen kann, um einfach nur nach vorne zu schauen.«

Wofür wir kämpfen – das Fazit
    Tino ist auf bewundernswerte Weise »unkaputtbar«. Durch seine optimistische Lebenseinstellung und die Tatsache, dass ihn seine Behinderung kaum einschränkt, fällt es ihm sicher leichter, die Folgen des Anschlags zu verarbeiten. Egal ob Bergsteigen, Skifahrern, der Radsport – Tino kann das alles teilweise besser und ist gesundheitlich fitter als die meisten nicht behinderten Menschen in seinem Alter. Und selbst wenn es nicht klappen sollte mit den Paralympics 2012 – ich bin sicher, er wird dann unverdrossen weitertrainieren für 2016. Er ist nicht der Typ, der aufgibt.
    Tino gehört zu inzwischen 200 000 Veteranen, die als Bundeswehrsoldaten in Auslandseinsätzen auf dem Balkan, Somalia und Afghanistan erfahren haben, was Krieg wirklich bedeutet und was er anrichten kann. Sie leben mit diesen Erfahrungen mitten unter uns, kaum beachtet außerhalb der Bevölkerungsschichten, die Angehörige bei der Bundeswehr oder sonstigen Kontakt zu ihr haben.
    Tino gehört zu den Glücklichen, die durch ihre Erlebnisse nicht bis zur Lebensunfähigkeit traumatisiert wurden. Er hat kein Posttraumatisches Belastungssyndrom. Im Gegenteil, bei ihm wendet sich alles ins Positive und er nimmt jeden Tag als Geschenk und sagt immer: »Egal, was kommt – gemessen daran, dass ich eigentlich tot sein könnte, will ich das Leben annehmen und erleben, wie es sich zeigt.« Seine Erfolge geben ihm Kraft; er sieht ja, was er alles erreichen kann trotz seiner Behinderung.
    Wenn ich mir heute Fotos anschaue und überlege, wie wir in den ersten Tagen nach dem Koma begonnen haben und wo wir heute stehen, erkenne ich die großen Fortschritte, die wir erreicht haben. Es gibt ein Foto von Tino mit Krücken, wie ich
ihm in den See helfe, damit er baden kann. Ein Bild, das mir noch heute wehtut. Wenn er heute dagegen kopfüber aus vollem Lauf in den See springt, dann liegen Welten dazwischen. Kein Mensch in unserer Familie weiß, wie Tino das schafft, aber er hat das Beste aus diesem Schicksalsschlag herausgezogen und in Stärke umgewandelt. Bei mir dagegen kam fünf Jahre nach dem Anschlag der Zusammenbruch.
    Die Energie, die mich die ganze Zeit durch alle Krisen getragen hatte, war plötzlich weg. Ich hatte alles, was ich tat, dem Ziel untergeordnet, Tino zu helfen – angesichts seiner Verletzungen und der noch dramatischeren Lage bei Deuschls hätte ich auch ein schlechtes Gewissen gehabt, in Wehklagen über mein eigenes kleines Schicksal auszubrechen. Ich war seit dem Anschlag fortwährend auf Hochtouren gelaufen, immer für andere dagewesen und nie wieder auf ein normales Level zurückgekommen. Aber jetzt waren meine Akkus auf einen Schlag leer. Ich sage das ohne jedes Selbstmitleid – es war einfach so. Jetzt brauchte ich selbst Hilfe, jemanden, bei dem ich mir alles, was mich belastete, von der Seele reden konnte. Und das war viel. Ich spürte, dass ich mit den ganzen Erlebnissen längst nicht fertig war und damit auch nicht so offensiv umgehen konnte wie Tino. Tino hat nie zurückgeschaut – ich schon, und nun musste ich für mich selbst herausfinden, wo ich bleibe und wo ich hin will.
    In unserer Familie haben wir nur sehr wenig über die bewegenden Ereignisse gesprochen, jeder hatte Angst, das Erlebte wieder aufzuwühlen. Bloß nicht daran rühren, wir wollten uns selbst und den anderen schützen. Aber das Schweigen und Sich-nicht-fallenlassen-Können war ein Fehler. Ich schleppte den ganzen Ballast weiter mit mir herum, und während Tino von Triumph zu Triumph auf seinem Fahrrad davonfuhr, stapfte ich durch meine trostlosen Tage wie durch klebrigen Teer und verlor mehr und mehr an Selbstwertgefühl. Dazu
kam, dass die Geburt von Hanna – unserem kleinen Sonnenschein – sehr anstrengend gewesen war. Eine Stoffwechselstörung ließ uns die letzten Tage der Schwangerschaft um ihr Leben bangen. Die Ärzte entschlossen sich, sie gleich zu holen. Sie kam vier Wochen zu früh per Kaiserschnitt auf die Welt. Die Tage danach blieb sie auf der Kinderstation. Wieder Krankenhaus. Wieder Bangen um einen geliebten Menschen. Wieder Erinnerungen an Koblenz. Diesmal waren es Hanna und ich, die Hilfe brauchten und auch bekommen haben. Tino kam jeden Tag
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