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Wofür stehst Du?

Wofür stehst Du?

Titel: Wofür stehst Du?
Autoren: Giovanni di Lorenzo Axel Hacke
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Ausschnitte zur Schau zu stellen.
    So kam es, dass mir die Überbleibsel der 68er-Linken in Deutschland oft wie eine spießige Verhinderungsmacht vorkamen.
    Wenn es ernst wurde, war ich übrigens gleich wieder weg. Es gab mal eine heftige Demonstration gegen eine Eintrittspreiserhöhung in den Braunschweiger Stadtbädern, deren stärkstes Argument war, die ohnehin schon schwer belasteten Arbeitermassen, auch Schüler und Studenten, könnten sich in Zukunft den Besuch der städtischen Schwimmbäder nicht mehr leisten, Baden werde eine exklusive Sache der Kapitalisten.
    Ich verließ die Demonstration, als die Polizei kurioserweise ausgerechnet mit Wasserwerfern gegen die Badepreiskämpfer vorging – und ich sah, während ich ging, in vorderster Linie einen älteren Freund kämpfen, Sohn eines wohlhabenden Kaufmanns, der in seinem Leben nur selten ein öffentliches Schwimmbad betreten haben dürfte. Nun wurde er vom Polizeiwasser geduscht.
    Warum war ich gekommen?
    Ich wollte, mit 16, dort sein, wo etwas los war. Aber hier war mir auf einmal zu viel los. Ich hatte keine Lust auf Ärger mit der Polizei, ich wollte nicht nass werden, ich wollte mir nicht wehtun lassen und niemanden verletzen, ich hatte Angst. Das alles war mir unheimlich.
    Eine Weile sah ich mir das Ganze unschlüssig aus der Entfernung an. Dann ging ich heim.
    Am besten gefällt mir, von heute aus gesehen, jener ältere Mitschüler, der die fantasievolle, ja, subversiv-spaßige Seite des Aufbegehrens repräsentierte. Er hatte beinahe so lange Haare wie ich (meine reichten bis zur Hüfte), schnitt diese aber eines Tages komplett ab, ließ sich eine Glatze scheren und stand dann so auf dem Kohlmarkt, mit einem um den Hals hängenden Schild: »Einmal drüberstreichen 50 Pfennig«.
    Das also waren die Zeiten, von denen es heute heißt, sie hätten Menschen hervorgebracht, die viel politischer seien als nachfolgende Generationen. Das stimmt.
    Aber wie viel Absonderliches, wie viel Dummes eben auch! Die linken Schülergruppen machten auch an unserer Schule gegen die Rivalen von der Schüler-Union mit dem feinsinnigen Slogan Front: »SU, SA, SS!« Eine Freundin meines Bruders bestand darauf, auch bei uns zu Hause grundsätzlich die Tür offen zu lassen, wenn sie die Toilette benutzte; sie könne auf mögliche Verklemmungen meiner armen Mutter leider keine Rücksicht nehmen.
    Die im Nachhinein stärkste und düsterste Erfahrung dieser Jahre ist, wie abgrundtief sich selbst besonders kluge Köpfe einer Generation verirren können in Sektierertum, Verehrung von Massenmördern und eine emotionale Härte, die sie gelegentlich ihren schlimmsten Gegnern ebenbürtig machen. Wer unserer Generation heute eine pragmatische Herangehensweise an Probleme, auch eine ins Beliebige abdriftende Bereitschaft zur Differenzierung vorhält, der verkennt eben diesen Eindruck, wie sehr und wie schnell man zum Opfer politischer Moden werden kann.
    In einer Welt, in der wir uns von Feinden umzingelt fühlten, gab es ein Land, in dem all unsere Träume wahr zu werden schienen – Italien. In den Siebzigerjahren war die Kommunistische Partei zeitweilig zweitstärkste Partei geworden, und links von ihr gab es radikale Gruppen, von denen jede einzelne stärker wirkte als die gesamte linksextreme Szene in Deutschland. Es gab ganze Regionen, in denen die Linke regierte. Dort, so kam es uns vor, war endlich die gute Hälfte der Menschheit zum Zuge gekommen; es gab augenscheinlich mustergültige Verwaltungen, vonArbeitern und Bauern gegründete Kooperativen und Kulturinitiativen aller Art. Und dann gab es diese ausgelassenen, mehr folkloristisch als politisch wirkenden Volksfeste der KPI-Parteizeitung L’Unità: Da stemmten robuste Hausfrauen noch große Töpfe voller Tomatensauce für die hausgemachten Bandnudeln, und Maurer aus der römischen Vorstadt Centocelle grillten Salsicce auf riesigen Rosten.
    Es gab aber auch eine andere Seite, die schwer zu übersehen war – eine Orgie politisch begründeter Gewalt. Es dauerte ziemlich lange, bis ich das nicht mehr als bedauerliche Randerscheinung einordnete. Einige meiner italienischen Bekannten kommentierten sogar terroristische Anschläge noch als Taten, die von »irrenden Genossen« begangen worden seien. Es gab damals Plätze und Straßen, in denen sich ein Rechter besser nicht blicken ließ, und umgekehrt. Faschisten und Kommunisten ließen sich leicht anhand modischer Merkmale unterscheiden: Linke hatten natürlich lange Haare, Rechte
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