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Wofür stehst Du?

Wofür stehst Du?

Titel: Wofür stehst Du?
Autoren: Giovanni di Lorenzo Axel Hacke
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lang begeistert mit, ja, ich lebte plötzlich in der Welt, die ich bei Onkel Stefan nur hinter dem Türspalt erahnt hatte: Rebellion, Liebe, Ausbruch. Ich mühte mich jedenfalls, Teil davon zu sein, denn meistens scheiterte ich an meiner Angst davor, aus Gefühlen und Überzeugungen Taten werden zu lassen. Mir wurde schon schlecht, wenn ich vor der Schülervollversammlung reden musste, nachdem ichzum Schulsprecher gewählt worden war. Einer meiner Lieblingssongs jener Zeit stammte von Lucio Battisti und hatte die schön wehleidige Zeile: »Aber den Mut zu leben, den habe ich noch nicht.« Deshalb war das Äußere umso wichtiger: Ich trug die Haare so lang und offen wie die Felsgrottenmadonna von Leonardo, dazu hatte ich mir einen schwarz-braun gefleckten Parka zugelegt, von dem ich mich nur im Hochsommer für wenige Tage trennen mochte, so als rechnete ich jeden Moment damit, mich im antikapitalistischen Kampf monatelang im Wald verstecken zu müssen. Der Armeebeutel, den ich mir über die Schulter hängte, war mit Peace -Zeichen und Slogans wie »Viva Allende!« verziert. Hinzu kam ein rotes Halstuch – das Mädchen in meinem Freundeskreis, das die reichsten Eltern hatte, hatte es für mich mit Hammer und Sichel verziert.
    Waren das mehr als modische Accessoires, war das mehr als nur ein Aus- und Anprobieren von Haltungen, die wir später wieder ablegten? Schon die Fragen hätten mich damals sehr gekränkt. Uns war es ja furchtbar ernst. Nicht allein, weil hinter den disparaten Weltverbesserungsfantasien bei fast allen, die ich damals kannte, auch viel Idealismus stand. In meinem Fall war da auch die Verzweiflung, in einem Land zu leben, das mir fremd war, mit einer Familie, die kaputtgegangen war, unter Lehrern, von denen ich mich fast nie anerkannt fühlte. Was für eine beglückende Vorstellung, »das System« so verändern zu können, dass man darin endlich glücklich ist! Zugegeben,die umgekehrte Reihenfolge, erst mich zu retten und dann die Welt, wäre bestimmt ökonomischer gewesen. Aber das hätte mir damals erst einer erklären müssen, und dann hätte ich es vielleicht trotzdem nicht verstanden.
    Übrigens hatte ich nie ein romantisches Verhältnis zur Politik wie viele meiner Generation. Politik war in meinem Fall nicht gleichbedeutend mit: Mädchen, Sex, Abenteuer, Aufstand, Musik. Es war einfach nur Politik, es ging um Gerechtigkeit und persönliche Freiheit, um Programme und Papier. Warum ereiferte ich mich damals überhaupt so? Folgte ich nicht, viel eher als dem Aufruf zur Rebellion, den schon verinnerlichten Stimmen meines Großvaters und meines Vaters: Engagiere dich! Sei leidenschaftlich in der Politik! Sei wie wir! War nicht Rebellion in meinem Fall auch ein seltsamer und sehr verquerer Versuch, den Vätern nahe zu sein?
    Und was heißt überhaupt »Rebellion«? Ich war nie besonders links und besonders radikal, nur im Rahmen meiner Gegebenheiten. In meiner Schulklasse gab es fast nur sehr konservative Mitschüler, da reichte schon das Gedankengut eines Linksliberalen, um aufzufallen. Ich ging abends zu Versammlungen der Jungsozialisten und der Jungdemokraten, die der FDP nahestanden, die freilich noch eine andere FDP war als die heutige. Sie war, jedenfalls in der Mehrheit, sozialliberal und sehr modern, keineswegs auf Wirtschaftsthemen reduzierbar. Und ich versuchte, mir meine eigenen Gedanken zu machen, las die Parteiprogramme, ging in die Stadthalle, wenn Willy Brandt dort redete, und kam mit einem Willy wählen! -Button wieder heraus. Aber dann wurde ich doch Mitgliedder Jungdemokraten, fuhr als Delegierter zur Landeskonferenz und legte als Schatzmeister die paar Hundert Mark Organisationsvermögen auf einem (damals ja noch quasi staatlichen) Postsparbuch an, damit nicht die Großbanken ihren Profit daraus schlugen.
    Auf sehr diffuse Weise hatte ich ein Wirtschaftssystem vor Augen, wie es in Jugoslawien bestand (jedenfalls stellte ich mir Jugoslawien so vor): volkseigene Unternehmen, aber in Konkurrenz zueinander, das alles auf dem Boden des Grundgesetzes, in dem es doch hieß, wie ich wusste, dass Eigentum verpflichte und sein Gebrauch zugleich dem Wohl der Allgemeinheit zu dienen habe. Das war doch was, fand ich, und wenn ich zu Hause bei manchen knochenkonservativen Vätern meiner Klassenkameraden zu Gast war, versuchte ich mich eifrig (ein besseres Wort fällt mir heute nicht dazu ein, ich war wirklich »eifrig«), in den Debatten mit ihnen zu behaupten.
    Im Keller fand ich jetzt, nach
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