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Wofuer die Worte fehlen

Wofuer die Worte fehlen

Titel: Wofuer die Worte fehlen
Autoren: Carolin Philipps
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wie oft Kristian wirklich in der Schule gefehlt hat, vom Grund ganz zu schweigen.
    Er folgt den beiden ins Wohnzimmer. Hauptsache, der Vater kommt nicht auch noch dazu. Der würde den Lehrer trotz Jugendamtdrohung vor die Tür setzen. Bei der Mutter ist da keine Gefahr. Die ist nach außen immer freundlich und höflich, selbst wenn sie innerlich vor Wut schäumt.
    Trotzdem hat Kristian ein mulmiges Gefühl, als er sich neben die Mutter auf das Wohnzimmersofa setzt. Er muss unbedingt die Sache mit seinem Bauch, der sich auch jetzt wieder schmerzlich meldet, herunterspielen. Er könnte sagen, es sei schon viel besser geworden. Und morgens komme er zu spät, weil der Wecker nicht geklingelt hat.
    Zuerst geht es um seine Noten. Der Lehrer legt der Mutter ein Notenprofil vor: Englisch 4, Deutsch 4, Mathematik 3, Physik 4. Nichts, auf das man stolz sein könnte, aber auch nichts, das einem zusätzlichen Ärger einbringen kann. Dahat es in der Vergangenheit schon schlechtere Zeugnisse gegeben.
    Â»Kristian könnte sicher mehr«, sagt Herr Malert abschließend. »Wenn, ja wenn er nicht so häufig fehlen würde und sich besser konzentrieren könnte.«
    Â»Was soll man machen?« Die Mutter zuckt etwas hilflos mit den Schultern. »Er konnte sich noch nie gut konzentrieren. Ich war in der Schule auch nicht besser. Aber meine Tochter hat Abitur gemacht. Kinder sind eben verschieden.«
    Â»So einfach können wir uns das im Interesse Ihres Sohnes aber nicht machen. Kristian steht permanent so unter Strom, als würde er zum Frühstück mindestens drei Flaschen Cola trinken.«
    Die Mutter ist empört. »Cola gibt es in meinem Haushalt nicht! Nicht wahr, Kristian? Ich achte auf eine gesunde Ernährung.«
    Kristian nickt. Das tut sie wirklich, wenn sie da ist. Beim Vater darf er Cola trinken, auch morgens. Und Obst und Gemüse kommen dann auch nur selten auf den Tisch.
    Â»Mag ja sein, dass
Sie
darauf achten.« Man sieht Herrn Malert an, dass er sich große Mühe gibt, auch unangenehme Dinge so höflich wie möglich auszudrücken. »Rein theoretisch vielleicht. In der Praxis kommt Kristian sogar ganz ohne Frühstück in die Schule. Nennen Sie das gesund?«
    Â»Natürlich überwache ich nicht jeden Morgen, was er isst.« Die Mutter wird langsam ungeduldig. »Manchmal hat er eben keinen Hunger.«
    Â»Dafür hat er regelmäßig Bauchschmerzen. Und das ist sehr wohl ungewöhnlich!« Auch Herrn Malerts Geduld ist erschöpft. Er schickt Kristian hinaus und will mit der Mutter alleine reden.
    Kristian protestiert. »Es geht doch um mich. Also muss ich wissen, was Sie sagen.«
    Â»Wenn deine Mutter es für richtig hält, dann kann sie dir hinterher alles erzählen. Aber zuerst möchte ich mit ihr unter vier Augen reden. Und schließ bitte die Tür hinter dir zu.«
    Er tut so, als ob das seine Wohnung ist, denkt Kristian wütend. Warum sagt die Mutter denn nichts? Die Tür fällt mit einem lauten Knall hinter ihm zu.

Unter vier Augen mit der Mutter, das kann Kristian nicht zulassen. Er muss wissen, was Herr Malert zu sagen hat. Zum Glück ist die Durchreiche zur Küche, durch die die Mutter vorhin den Kaffee und die Kekse gereicht hat, einen Spalt offen geblieben.
    Und so lauscht er über den Küchentisch gebeugt, wie der Lehrer von seinen Beobachtungen erzählt. »Es gibt zwei Kristiane, wenn ich das mal so sagen darf. Der eine kommt pünktlich, hat seine Hausaufgaben und fällt nur einmal in der Woche vom Stuhl. Der andere trägt häufig zerrissene T-Shirts und schmuddelige Hosen, hat morgens nicht gefrühstückt, selten seine Hausaufgaben und fällt täglich mindestens zweimal vom Stuhl. Das Schlimmste aber sind seine Fehlzeiten, die nie, aber auch nie mit der erforderlichen Entschuldigung durch die Eltern oder einer ärztliche Bescheinigung erklärt werden.«
    Durch den Spalt sieht Kristian die erschrockenen Augen der Mutter. Sie schweigt, während der Lehrer fortfährt:
    Â»Kristian hat erzählt, dass Sie oft gar nicht da sind. Sie fahren in die Slowakei …«
    Â»Meine Mutter! Sie lebt alleine und ist häufig krank. Sie will nicht in ein Altenheim. Einer muss sich doch kümmern.« Die Stimme der Mutter wird lauter und ein wenig schrill.
    Â»Ist ja in Ordnung. Das sollen Sie ja. Aber auch Ihr Sohn muss versorgt sein. Dieser zweite Kristian, der kommt
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