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Wofuer die Worte fehlen

Wofuer die Worte fehlen

Titel: Wofuer die Worte fehlen
Autoren: Carolin Philipps
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nur ein wenig neben der Wahrheit. »Ich bin erst in einer Stunde zu Hause.«
    Er hat Glück, der Vater hat erst am späten Nachmittag seinen ersten Montagetermin und kann einspringen. »Lass dir Zeit«, sagt er. »Und mach deine Aufgabe sorgfältig, sonstschreibt Herr Malert wieder einen Elternbrief. Der kleine Mann und ich, wir kommen schon klar miteinander.«
    Erleichtert holt Kristian vom Hausmeister Besen und Kehrblech und fängt an zu fegen.
    Der kleine Mann und ich, der kleine Mann und ich. Immer schneller fliegt der Besen über das Pflaster. Der Hausmeister beobachtet ihn kopfschüttelnd. »Willst du ’nen Weltrekord im Schnellfegen aufstellen?«
    Nach fünfzehn Minuten ist Kristian fertig. Er stellt Besen und Schaufel in eine Ecke und läuft los.
    Â»Hey, so geht das aber nicht. Die Gerätschaften müssen in den Keller zurück!«, ruft der Hausmeister hinter ihm her.
    Kristian läuft weiter, kommt keuchend zu Hause an. Hier bleibt er stehen und holt erst einmal Luft. Dann öffnet er leise die Haustür, schleicht die Treppen in den zweiten Stock und öffnet noch leiser die Wohnungstür.
    Der Vater erwartet ihn erst in einer halben Stunde.
    Aus dem Badezimmer kommt ein leises Quieken. Kristian schleicht sich heran und späht um die Ecke.
    Die Bauchschmerzen kommen plötzlich und mit solcher Macht, dass Kristian schwarz vor Augen wird. Mühsam hält er sich am Türrahmen fest. Er zwingt sich die Augen zu öffnen. Tobias liegt auf der Wickelkommode, der Vater beugt sich über ihn.
    Wickelt er ihn nur?
    Er wickelt ihn nur!
    Aber noch ehe die Erleichterung darüber seine schmerzenden Bauch erreicht, sieht er, wie der Vater Tobias’ kleinen Penis in der Hand hält und reibt, in seinen Augen der so verhasste Ausdruck. Das leise Stöhnen.
    Der kleine Tobias quietscht. Seine Beinchen tanzen in der Luft.
    Â»Das gefällt dir, mein Kleiner, was!«, flüstert der Vater mitheiserer Stimme. »Ich weiß, dass es dir gefällt. Du willst es doch auch. Aber das ist erst der Anfang. Du wirst sehen, wir werden beide unseren Spaß haben!«
    Die Bauchschmerzen schlagen über Kristian zusammen, ihm wird übel. Er hält die Hand vor dem Mund und schleicht, so leise er kann, zurück zur Wohnungstür. Er holt tief Luft, krümmt sich vor Schmerzen, versucht das Würgegefühl zu vergessen.
    Dann geht er erneut durch die Tür, schlägt sie zu, zieht geräuschvoll seine Schuhe aus und pfeift laut.
    Â»Dad? Tobi? Wo seid ihr?« Seine Rufe schwingen durch die Wohnung.
    Als er ins Badezimmer kommt, ist Tobias frisch gewickelt und der Vater zieht ihm gerade eine neue Strampelhose an.
    Â»Hallo! Kristian! Du bist früh dran! Wir haben dich noch gar nicht erwartet. Du siehst, wir haben uns prächtig verstanden, nicht wahr, kleiner Tobias?«
    Tobias streckt Kristian erfreut die Arme entgegen. Er drückt den Kleinen an sich und atmet den Duft seiner warmen Haut ein. Er riecht wie immer. Es ist noch nicht zu spät.
    Die nächsten zwei Stunden sind ein einziger Albtraum. Mechanisch würgt Kristian das Mittagessen hinunter, spielt mit Tobias, wartet nur auf den Augenblick, wo der Vater das Haus verlässt.
    Endlich ist es so weit. Er kann es kaum ertragen, als der Vater Tobias in den Arm nimmt. »Bis bald, mein Kleiner!«, sagt er zu dem Baby.
    Kristian steht mit Tobias auf dem Arm am Fenster und beobachtet, wie der Vater in sein Auto steigt, ihnen zuwinkt und davonfährt.
    Er legt Tobias in den Kinderwagen und wartet, bis er eingeschlafen ist. Dann packt er einen kleinen Koffer mit Kleidung, nimmt seine Schultasche und stellt alles in den Korbunter Tobias’ Kinderwagen. Zum Schluss legt er noch eine Kopie seiner Manga-Geschichte hinein.
    Ein letztes Mal schaut er sich in seinem Zimmer um.
    Dann geht er zum Schrank, wühlt von ganz hinten die schwarze Ritterrüstung mit der Gesichtsmaske und der weißen Perücke hervor. Er breitet sie auf seinem Bett aus. Im Papierkorb, der noch nicht geleert wurde, findet er die Zeitung von Frau Wischer. Er schneidet den Artikel aus, glättet ihn sorgfältig und legt ihn gut sichtbar auf sein Kopfkissen.
    Dann verlässt er mit Tobias die Wohnung.
    Es sind nur zehn Minuten bis zum Haus von Frau Wischer. Kristian hält den zerknüllten Zettel mit ihrer Adresse, die kaum noch zu entziffern ist, in der Hand. Warum er ihn aufbewahrt hat, weiß er nicht. Er
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