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Wodka und Brot (German Edition)

Wodka und Brot (German Edition)

Titel: Wodka und Brot (German Edition)
Autoren: Mira Magén
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auf die Berge des Himalaja, und weil ich ihn liebte, suchte ich nicht nach ihm. Seine Eltern schickten ein Flugzeug mit einem Rettungsteam los, aber sie kamen unverrichteter Dinge zurück.
    Vermutlich hat er es geschafft, und ich werde nie erfahren, ob er in einem in einen Felsen gehauenen Kloster aufgenommen wurde, wo ihn tibetische Mönche mit Reis fütterten, sich über seine Eigenheiten wunderten und ihn für einen Heiligen hielten. Oder ob er auf einem verschneiten Gipfel seinen letzten Atem aushauchte und Adler seinen Leichnam fraßen, oder ob er im Schnee erfror. Und es gab noch andere Arten zu sterben, die nicht weniger logisch gewesen wären, zum Beispiel, dass Gott ihn liebte und ihn als Engel zu sich nahm, wie er es mit Hanoch getan hatte.
    Ich neige dazu, Letzteres zu glauben, denn wie viele Geschöpfe hat Gott, die sein Ebenbild auf diese Art und Weise heiligen, deren Leben ohne ihn keinen Sinn hat. Nurer weiß, wie vielen Menschen er den Verstand entzogen hat, und statt für die Heiligung des Ebenbilds zu sterben, wurden sie Organsäcke, die nur noch atmeten und Ausscheidungen von sich gaben. Ist es da ein Wunder, dass er ihn bei sich haben wollte?
    Abends, wenn der Junge eingeschlafen ist, gehe ich hinaus zur Schaukel, ich rieche das Leben, das aus der Erde bricht, ich höre die Kiefernnadeln im Wald fallen und sehe das flimmernde Licht des Fernsehers im Haus des Alten. Manchmal kommt Madonna zum Schlafen zu uns, dann sitzt sie mit mir auf der Schaukel, ich trinke ein Glas Merlot, sie mindestens zwei. Der Junge freut sich, wenn er morgens neben ihr aufwacht, sie bestiehlt uns auch nicht mehr. Wenn meine Beete blühen und alle Pflanzen aufgegangen sind, werde ich ihr den Laden verpachten und den Boden bestellen. Sie hört es und lacht. »Du? Wofür hast du an der Universität studiert?« Sie schlägt mir vor, mit Handschuhen zu arbeiten, mich einzucremen und einen breitrandigen Hut aufzusetzen. »Du willst doch auf deine Haut aufpassen, nicht wahr? Ganz bestimmt lernst du irgendwann jemanden kennen, oder? Wann hast du Geburtstag? Ich kaufe dir eine Creme.«
    »Im Tevet. Ich bin im Winter geboren, am Tag meiner Geburt hat es heftig geregnet. Hör mal, ich erzähle dir eine Geschichte. Im letzten Jahr kam Gideon, mein Mann, mitten im Sommer mit einem Blumenstrauß und Karten fürs Theater an, er küsste mich und sagte, herzlichen Glückwunsch. Wieso denn das?, fragte ich. Was heißt das, wieso, fragte er, du hast doch Geburtstag, oder nicht? Was ist mit dir, sagte ich, mein Geburtstag ist erst in einem halben Jahr. Im Ernst?, fragte er, und ich stellte die Blumen in eine Vaseund zog mich fürs Theater an, und er griff sich an den Kopf. Um Himmels willen, wie konnte ich das vergessen. Da siehst du mal, wie dumm man sein kann, statt zum Arzt zu gehen, geht man ins Theater.«
    Madonna hörte zu und zog die Flasche näher zu sich, ich griff mit einer Hand nach ihr, mit der anderen nach dem Flaschenhals, sie befreite sich aus meinem Griff und lachte. »Pass auf, du hast es mit einer kleinen russischen Hure zu tun, hast du das vergessen?« Sofort wurde sie wieder ernst.
    Ich ließ die Flasche los, und sie goss uns beiden ein.
    »Wie gesagt, ich werde dir eine Creme kaufen, mit Schutzfaktor dreißig, wann hast du gesagt, im Tevet? Was haben wir jetzt? Als Rivka Schajnbach habe ich die jüdischen Monate im Schlaf aufsagen können, jetzt kenne ich nur noch die Monate der Gojim. Januar, Februar und so weiter. Ehrlich gesagt, was spielt der Kalender für eine Rolle, der jüdische oder der christliche, die Zeit vergeht so und so.«
    Ihre Stimme zitterte, vielleicht vor Sehnsucht nach Rivka Schajnbach und dem jüdischen Kalender, die sie in der Jisa-Bracha-Straße zurückgelassen hatte, und vielleicht aus Angst vor der Zeit, die verging.
    »Apropos Zeit, die vergeht, was willst du tun, wenn du mal groß bist?«
    »Irgendetwas. Ich werde so oder so ein gutes Leben haben. Ich mache keine Pläne, ich lebe für den Moment. Schau dich an, du hast studiert, du hast geheiratet, Mann, Familie und alles. Was ist das Ende? Du hast einen Laden und bist allein. Was haben dir deine Pläne genützt? Ich nehme alles, wie es sich bietet, ich komme schon zurecht. Mein Vater hat mich mit siebzehn aus dem Haus geworfen und gedacht, dass ich auf allen vieren zurückgekrochen komme, dass diese dünne weiße Rivka keinen Tag durchhaltenwürde. Und was war? Er hat sich gründlich getäuscht. Mich kriegt keiner klein.«
    »Doch, Gott«,
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