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Wodka und Brot (German Edition)

Wodka und Brot (German Edition)

Titel: Wodka und Brot (German Edition)
Autoren: Mira Magén
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angenommen habe.«
    Er ging zu seiner Arbeit zurück und ich ins Haus, in dem niemand war, nur der tote Junge auf dem Bild. Ich saß in der großen Diele vor ihm, nur er und ich, ich trank Limonade, ich aß eine Birne, und er betrachtete mich mit Augen, in denen uralte Weisheit lag. Ich sagte ihm, dass ichmich um sein Grab kümmerte, dass ich Kiefernnadeln von der Platte entfernt hatte, den Staub abgefegt und für ihn »Lauf, Pferdchen, renne durchs Tal« gesungen hatte. Sag, Junge, sagte ich zu ihm, ist das nicht ein Skandal, dass der schwarze Gummireifen, der dich getötet hat, fünf Herzen zerbrochen hat? Entschuldige, du bist ein Kind, ich darf dir kein seelisches Trauma zufügen und mit dir über den Tod sprechen, du könntest davon Albträume bekommen, du könntest wieder mit Bettnässen anfangen, nervöse Zuckungen an den Augen bekommen, wir wissen doch, dass der Mensch sich nicht auf alles Übel vorbereiten kann, wenn Gott will, wird auch ein Besen schießen, ich weiß nicht, ob du diesen Spruch schon mal gehört hast. Jetzt jedenfalls, nachdem die Besen schon geschossen haben, muss man sehen, was man mit Gott macht. Nicht du, ich. Es ist eine Sache, wenn unser Leben in seiner Hand liegt und seine Wunder ständig um uns sind, und eine ganz andere, wenn alles willkürlich ist. Du lachst, wenn das Glas dich nicht bedecken würde, würdest du sagen: Lass doch den Himmel, löse erst einmal das Problem, das du auf der Erde hast. Dein Sohn ist mit einem Verrückten abgezogen, und du isst Birnen und plapperst über Besen. Der Wohnwagen des Verrückten steht am Abgrund, ein Fingerschnippen, und dein Junge wird zum Sündenbock, und seine Knochen rollen den Abhang hinunter …
    Amos hatte zwar versprochen, ein Auge auf sie zu haben, aber kalter Schweiß klebte mir die Bluse an den Rücken, ich verließ das offene Haus und rannte nach Norden, zum Wohnwagen des Mannes, der zur Instandhaltung angestellt war, um den Jungen zu retten, ich wusste nicht, wo und wie weit entfernt der Wohnwagen stand, ich rannte, solange ich noch rennen konnte, ich stieß gegen Steine, kratztemich an Dornengestrüpp, ich rutschte auf den Felsen aus, ich lief durch einen Olivenhain, durch einen Weinberg, und murmelte, lieber Gott, wirklich, lass den Besen nicht schießen, Gott, halte den Besen fest, Gott … Der Himmel bezog sich mit Wolken, Regen fiel und mischte sich mit meinem Schweiß, die nackten Reben der Weinstöcke wurden dunkle, gerade Linien, die sich von Norden nach Süden zogen, gaben die Richtung vor. Ich war nass, der dünne Rock klebte an meinen Schenkeln und hinderte mich am Laufen, ich überlegte, ihn auszuziehen und in Unterhosen weiterzurennen, was kann schon passieren, Gideon, Nadav und Gott haben mich bereits in Unterhosen gesehen, ich rannte, nass, angezogen, keuchend, ich muss die Hand meines Mannes packen, bevor er den Finger nach dem Jungen ausstreckt. Eine Hand, die ich besser kenne als jede andere, die ich oft genug zu meinem Allerheiligsten geführt habe, und in die ich, als sie mir fremd wurde, Löcher gebohrt und das Blut mit einem Taschentuch abgebunden habe. Am Rand des Weinbergs, kurz bevor der Berg im Wadi aufbricht, vor dem Hang, stand der Wohnwagen. Ich klopfte nicht, ich bat nicht, eintreten zu dürfen, ich machte einfach die Tür auf und ging hinein. Der Wohnwagen war leer. In der kleinen Küche mit dem Klapptisch stand eine Tasse mit einem Rest Milch, in der zerkrümelte Kekse schwammen, und auf der Tasse waren kleine Fingerabdrücke. Der Wohnwagen besaß zwei Zimmer, eines war leer, ohne Gegenstände, ohne Menschen, im zweiten standen ein Feldbett, ein Tisch, ein Stuhl und eine Kiste, die Gideons wenige Besitztümer enthielt. Ginge es jetzt nicht um das Leben meines Jungen, hätte ich die Kiste gründlich durchwühlt, um Hinweise auf das Leben meines Mannes zu finden, aber die Sorge um die Rettung des Menschen, der mir derliebste war, brachte mich dazu, schnell in der Toilette und in der kleinen Dusche nachzuschauen. Ich ging hinaus, der Lieferwagen und der Hund waren nicht da, wer weiß, zu welcher Hölle er den Jungen gefahren hatte, der Regen hatte die Reifenspuren gelöscht, wenn ich nur den Besitzer des Gehöfts anrufen könnte, um ihm zu sagen, er solle dem Lieferwagen folgen und ihn aufhalten, aber in meiner Eile hatte ich das Handy in seinem Haus liegen  gelassen, das Einzige, worauf ich zugreifen konnte, waren meine Sinne und der Himmel, und beiden traute ich nicht besonders. Ich kann nicht
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