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Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Titel: Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach
Autoren: Mario Levi
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verließ, war ich nicht so sehr traurig über das, was ich gehört hatte, sondern daß ich keinen Ausweg wußte. Daß ich keinen Ausweg wußte und daß ich immer noch den Vater zur Verwirklichung meiner Träume brauchte …
    Diesen Konflikt hätte ich auch anders lösen können. Vielleicht hätte ich ein Leben unter härteren Bedingungen wählen können. Doch jedes Alter und jede Epoche haben ihre eigenen Realitäten. Heute kann ich diese Tatsache viel eher akzeptieren. Mit der Zeit schwenkte ich, ähnlich wie so viele, die gleich mir derartige Widerspenstigkeiten durchgemacht hatten, auf meine Art die Fahne der Kapitulation. Ich sah rechtzeitig den Abgrund, der sich vor meinen Bestrebungen auftat. Anfangs kam ich in den Laden, indem ich mir weismachte, ich könnte meine Hoffnungen für eine Weile aufschieben. Mein Vater verlangte von mir nichts weiter. Da war das Geschäft, das er praktisch aus dem Nichts begründet und mit großen Mühen aufgebaut hatte, und ich war sein einziger Sohn … Das war die Realität. Auch schaffte ich es, mir einzureden, wesentlich weniger kompliziert leben zu können, wenn ich mich für das entschied, was mir mein Vater seit Jahren zur Wahl stellte.
    Manchmal fiel es mir schwer, mich zu erkennen und zu ertragen. Da halfen mir die Lösungen, besser gesagt die Betäubungsmittel, die mich meine Jugend finden ließ. Ich war fest davon überzeugt, noch ein sehr langes Leben vor mir zu haben, und ebenso überzeugt, mich eines Tages diesem Leben gegenüber stärker fühlen zu können. Dann würde ich auch meine Träume verwirklichen können, ohne irgendeinen anderen um Hilfe bitten zu müssen. Ich war in einem Alter, in dem ich nicht verstehen konnte, wie wichtig die Gegenwart war. Damals war es möglich, Dinge aufzuschieben. Vielleicht erlebte ich aber eine weitere Flucht. Es war eine Flucht, auf der ich mich bewußt versteckte, die aber, wie ich glauben wollte, mich stärker mit dem Leben verband. Ich steckte genau zwischen den eigenen Präferenzen und den Forderungen des Vaters. Vielleicht hatte ich meine anfängliche Kampfkraft verloren. Vielleicht wollte ich mir auch aus jenem Gefühl der Niederlage eine Zuflucht bauen, in der ich mich sicherer fühlen konnte. Manchmal war Leid ja auch eine Art Betäubung …
    Wenn ich damals in den Laden ging, war das ganz anders als in meiner Studentenzeit. Ich wollte andere Menschen sehen. Ich wollte mir auch einreden, ich könnte mit anderen Menschen neue Spiele spielen und es überdies in diesen meinen Spielen zur Meisterschaft bringen. Die Verbindungen zu den Helden eines Spiels, das mit jedem Tag meines Lebens in weitere Ferne rückte, zu meinen Freunden, waren endgültig abgebrochen, besser gesagt, ich hatte sie abbrechen müssen. Wir hatten uns in alle Winde verstreut. Ich dachte, daß auch sie genau wie ich hofften, sich in ihrem neuen Leben eher selbst zu finden. Ich hatte seit langer Zeit nichts mehr von ihnen gehört. Ich hatte keine Ahnung, wo sie alle waren, mit wem sie zusammen waren, was sie erlebten. Offen gesagt, ich wollte es auch nicht wissen, nicht erfahren. Ich glaubte nun einmal, daß ich das Ganze nur mit so einem Bruch durchstehen konnte. Wenn man daran denkt, was wir zurückgelassen, miteinander geteilt hatten, war das schwer erklärlich. Doch hatte sich nun einmal jeder entschieden, einen Weg zu wählen und diesen alleine zu gehen. Ich zweifelte nicht, daß sie sich auch hin und wieder an mich erinnerten. Doch ich zweifelte auch nicht daran, daß sie nicht mit mir in Verbindung treten würden. Die Schauspieler der tollen Truppe, die wir die ›Schauspieltruppe‹ genannt hatten, von denen jeder einzelne mir seine eigene Geschichte hinterlassen hatte, sollten wohl nun für eine sehr lange Zeit, vielleicht sogar bis zu meinem letzten Atemzug, die Helden eines Traumspiels bleiben, das für mich niemals enden, dessen Vorhang niemals fallen würde … Es erfüllte mich mit trauriger Freude und gab mir zugleich Kraft, wenn ich mir ausmalte, wie sie ihre anderen Leben lebten und was sie erleben würden.
    Es war auch gar nicht so einfach, das Gefühl der Niederlage auszuhalten. Der Kampf war zu Ende. Es schien, als wäre ein Lastwagen über uns hinweggefahren. Wenigstens ich fühlte mich so. Es wurde wieder von einem Wandel 2 geredet. Doch dieser Wandel war so einschüchternd, so schmerzlich, ganz anders, als wir ihn uns einst erträumt hatten … Trotzdem mußten wir weiterleben. Die neuen Wölfe waren mit neuem Hunger in die Stadt
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