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Wo ich zu Hause bin

Wo ich zu Hause bin

Titel: Wo ich zu Hause bin
Autoren: Anselm Gruen
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unter großem Schrecken, unter Zeichen und Wundern aus Ägypten, er brachte uns an diese Stätte und gab uns dieses Land, ein Land, in dem Milch und Honig fließen« (Deuteronomium / 5. Mose 26,5–9).
    Die Erfahrung der Heimatlosigkeit soll das Volk dankbar machen für das Land, das Gott ihm geschenkt hat. Sie soll das Volk aber auch sensibel machen für Menschen, die als Fremde und Heimatlose mitten unter ihm wohnen. Daher gilt das Gebot der Gastfreundschaft Fremden gegenüber. In jedem Fremden und Heimatlosen sahen die Israeliten ein Bild für sich selbst. In ihrem Herzen erkannten sie, dass die Heimatlosigkeit ihrer Väter zu einem Wesensmerkmal ihrer Existenz geworden ist. Daher sahen sie sich selbst in jedem Fremden wie in einem Spiegel. Sie fühlten sich vor Gott verpflichtet, die Fremden freundlich zu behandeln. Weil Gott ihnen Heimat gab, waren sie bereit, Fremden Heimat zu gewähren.
    Das, was wir mit dem Wort »Heimat« verbinden, fühlte Israel, wenn es an den Tempel Gottes dachte. Der Tempel wird »Haus des Herrn« genannt. Im Haus des Herrn fühlen sich die frommen Israeliten daheim. So singen sie im Psalm: »Wie liebenswert ist deine Wohnung,du Herr der Scharen! Meine Seele verzehrt sich in Sehnsucht nach den Höfen des Herren« (Psalm 84,2 f.). Zum Haus des Herrn zu ziehen, erfüllt die Israeliten mit Freude. Umso schmerzlicher ist es für sie in der Fremde der babylonischen Gefangenschaft, wenn sie an Zion, an den Tempel Gottes, an ihre wahre Heimat dachten: »An Babels Strömen saßen wir und weinten, da wir an Zion dachten. An die Weiden in jenem Land hängten wir unsere Harfen. Denn dort verlangten von uns die Zwingherren Lieder, unsere Peiniger forderten Jubel: »Singt uns eins von den Liedern Zions!« Wie könnten wir singen die Lieder des Herrn fern, auf fremder Erde?« (Psalm 137,1–4).
    Ein anderes Wort, das mit unserem Wort »Heimat« zusammenhängt, ist in der Bibel patria . Es ist eigentlich das Haus des Vaters, das Geschlecht des Vaters, die Familie des Vaters, der Raum, der vom Vater geschützt ist, der väterliche Bezirk. Die Griechen und Römer verbanden Heimat mit dem väterlichen Raum. Heimat war für sie dort, wo sie sich zum Vater zugehörig fühlten. Dieses Wort wird im Neuen Testament eher negativ verwendet, etwa wenn Jesus in der Synagoge von Nazareth zu seinen Mitbewohnern sagt, die ihn ablehnen: »Amen, das sage ich euch: Kein Prophet wird in seiner Heimat anerkannt« (Lukas 4,24). Heimat ist hier eher der enge Raum, aus dem Jesus selbst sich herausentwickelt und aus dem auch der Jünger Jesu ausbrechen muss, um dem Ruf Jesu zu folgen.
    Jesus, den Lukas als göttlichen Wanderer schildert, der immer weiterwandert und sich an keinem Ort fürimmer niederlässt, verlangt auch von seinen Jüngern, dass sie in dieser Welt heimatlos bleiben. Einem Mann, der ihm nachfolgen wollte, sagte er: »Die Füchse haben ihre Höhlen und die Vögel ihre Nester; der Menschensohn aber hat keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen kann« (Lukas 9,58). Jesus zitiert hier ein Sprichwort, das auch die Griechen kennen. Im Gegensatz zu den Tieren, die umherstreifen und doch ihre Behausung haben, ist der Mensch letztlich unbehaust. Auch das Haus, das er sich baut, ist nicht sein wirkliches Zuhause. Solange er lebt in dieser Welt, lebt er als Fremdling. Er gehört nie ganz in diese Welt. Er hat seine Heimat in Gott. Die Heimat in Gott lässt ihn die irdische Heimatlosigkeit aushalten. Und sie hält ihn lebendig auf seinem Weg. Der Evangelist Lukas lässt den göttlichen Wanderer sich immer wieder in die Einsamkeit zurückziehen, um im Gebet Heimat bei seinem Vater zu finden. Und von dieser inneren Heimat, von diesem Einssein mit dem Vater her kann er dann die Fremde unter den Menschen und ihre Anfeindungen aushalten, ohne aus seiner inneren Heimat gerissen zu werden.
    Eine positive Bedeutung bekommt bei Johannes der Begriff oikia tou patros mou , das Haus meines Vaters. Jesus sagt bei seinen Abschiedsreden: »Im Haus meines Vaters gibt es viele Wohnungen. Wenn es nicht so wäre, hätte ich euch dann gesagt: Ich gehe, um einen Platz für euch vorzubereiten?« (Johannes 14,2). Das Haus meines Vaters ist die Heimat, die uns im Himmel erwartet. Sie wird von Jesus für uns vorbereitet, gleichsam ausgeschmückt mit seiner Liebe. Wir werden also in etwasVertrautes hineinsterben, in das Haus des Vaters, in dem Jesus uns eine Wohnung bereitet hat, in dem wir zu Hause sind, in dem wir für immer Heimat erfahren
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