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Wo Elfen noch helfen - Walter, A: Wo Elfen noch helfen

Wo Elfen noch helfen - Walter, A: Wo Elfen noch helfen

Titel: Wo Elfen noch helfen - Walter, A: Wo Elfen noch helfen
Autoren: Andrea Walter
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trinken Kaffee im Café Paris, mit Blick auf den Platz Austurvöllur, an dem das Parlamentsgebäude Alþingi steht. Hier fanden die berühmten Demonstrationen statt.
    »Was meinst du«, möchte Viktor wissen, »was hat sich in Island verändert?« Ich erzähle ihm, dass ich auf dem Hinflug eine Begegnung mit einer jungen Isländerin hatte. Sie war auf dem Weg zurück nach Island, nachdem sie in Österreich als Skilehrerin gearbeitet hatte. Sie erzählte mir, dass sie im Skiort manchmal behauptet habe, sie sei aus Dänemark – damit die Leute, sie nicht ewig auf die Krise ansprachen.
    Das war für mich neu. Vor einigen Jahren noch war Island eines der tollsten Länder der Welt, von wo man gerne kam, der coole, unbescholtene Außenseiter. Plötzlich behauptete eine Isländerin, sie käme aus Dänemark. Ausgerechnet aus dem Land, das Island j ahrhundertelang beherrscht hat. Viktor lacht. Er sagt: »Na, zumindest ist es gut, dass niemandem aufgefallen ist, dass
Dänemark keine Berge hat. Eine Skilehrerin aus Dänemark – was für ein Unsinn!«
    Aber es stimmte schon, sagt er. Die Isländer müssten jetzt damit leben, doch nicht mehr die Besten auf der Welt zu sein. Aber es habe auch ein gewisser Druck auf dieser Ambition gelastet. Viele dachten in Zeiten der Blase: »Der Nachbar hat einen Landrover? Dann brauche ich jetzt auch einen.« Heute sei es genau anders herum. Sieht man den Nachbarn mit dem Landrover, denkt man: »Der Arme!« Weil man weiß, dass er vermutlich Schulden hat. Viele haben Schulden, sagt Viktor. Was es vielleicht ein wenig leichter macht, weil es geteiltes Leid ist.
    Am Tiefpunkt gingen die Leute in die Banken und schrien die Angestellten an, weil sie sich betrogen fühlten, und die Angestellten schrien die Chefs an, weil auch sie meist nicht wussten, was sie eigentlich verkauften. Heute schäme man sich auch, weil man sich fragte: Wieso habe ich nichts bemerkt? Wieso habe ich mich von dem Traum verführen lassen und die schlechten Seiten übersehen?
    »Man war wütend in Island«, sagt Viktor, »aber es ist hier nie total eskaliert. Das ist das Schöne.« Und das stimmt, vor allem, wenn man an die Bilder aus Griechenland denkt. Viktor erzählt von dem Abend, an dem dann doch ein paar Pflastersteine flogen und die Polizei Tränengas einsetzte. Er ging damals durch die Straßen und hörte plötzlich einen lauten Knall. Es war bedrohlich. Vor allem, weil man etwas derartiges in Island nicht kannte. Polizisten hält man hier nicht per se für »Bullen« oder Gegner. Und für die Polizisten selbst war es ungewohnt, mit Helmen und Schildern vor ihren Landsleuten zu stehen. Außerdem hatten sie ja die gleichen Probleme wie die Demonstranten.
    Und so geschah am nächsten Tag etwas Bemerkenswertes: Manche Demonstranten waren so erschrocken über die Steinwürfe,
dass sie sich spontan vor die Polizisten stellten – um sie zu schützen.
    Auch gegen diejenigen, die man für die hauptverantwortlichen der Krise hält, hat es damals Reaktionen gegeben. »Als ein ehemaliger Bankchef in ein Restaurant in Reykjavík kam, standen manche Leute auf und sagten, sie wollten nicht in einem Raum mit ihm essen. Nach und nach erhoben sich immer mehr Leute. Bis der Mann das Restaurant verließ.« In einer Zeitschrift wurde berichtet, dass ein anderer Großunternehmer auf der Straße von jemandem mit einem Schneeball beworfen wurde.
    Außerdem hatte sich auch in der Kunstszene etwas verändert, sagt Viktor. Viele der Superreichen hatten zum Beispiel angefangen, Kunstwerke aufzukaufen. Und eine der Banken veranstaltete zu ihrem Jubiläum ein Konzert, zu dem 50 000 Leute kamen. »Das muss man sich mal vorstellen«, sagt Viktor. »Zum Jubiläum einer Bank!« Als die Band Sigur Rós auch zu Zeiten des Wirtschaftsbooms ein Konzert in Reykjavík gab – einfach so, ganz umsonst – da fiel es manchen Leuten auf. »Ach, das ist ja toll«, sagten sie. »So ein Konzert, das nur von den Künstlern kommt, nicht von einer Bank. Nicht als Zeichen einer Sponsorenschaft. « Heute ist das wieder so: »Die Kunst«, sagt Viktor, »ist wieder frei«.
    Viktor sieht in der Krise auch Gutes. Eine Rückbesinnung, vieles reguliert sich wieder. So gesehen sei es doch mal interessant, über die Frage nach der Größe des perfekten Staates nachzudenken, sagt er. »Vielleicht werden wir nie Unglaubliches oder nie Perfektion erreichen und nie so viele Goldmedaillen bekommen wie andere Länder. Aber wenn man unsere Situation einmal mit China vergleicht
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