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Wo der Elch begraben liegt

Wo der Elch begraben liegt

Titel: Wo der Elch begraben liegt
Autoren: Carin Hjulstroem
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drin.«

12
    Johan und Rosita hatten die ganze Nacht geredet. Zunächst war es ein klares Nein. Als sie dann jedoch ihre Überlegungen von Gunnel und dem Hof abkoppelten, ergab sich ein anderes Bild. Wenn die Dorfbewohner in ihrer Ortschaft eine gute Wohnung zu einem vernünftigen Preis anbieten konnten, gab es eigentlich keine unmittelbaren Hindernisse. Rosita stellte ohne Umschweife fest, dass die Distanz zwischen Mutter und Sohn ja gänzlich von Gunnel und nicht von Johan ausgegangen war. Und wer bestimmte eigentlich, dass er sich dieser Regelung unterwerfen musste? Hatte er nicht ein ebenso großes Recht auf sein Heimatdorf wie sie? Konnten sie es sich wirklich leisten, dass eine verwandtschaftliche Entfremdung über Jahre hinweg ihr Leben bestimmte? Hatte er nicht von einer Milieuveränderung gesprochen? Für die Jungen wäre es zum Aufwachsen bestimmt ein viel besserer Ort. Rosita könnte ihr Friseurgeschäft überall führen, und vielleicht wäre es für ihn sogar einfacher, in dieser Gegend einen Job als Installateur zu bekommen.
    » Ich glaube nicht, dass deine Mutter ein Herz aus Stein hat. Wenn sie Hampus und Linus erst einmal kennenlernt, kann ich mir nicht vorstellen, dass sie weiterhin die Einsamkeit vorzieht. Und wenn sie mich unbedingt hassen will,dann soll sie es eben tun. Ich muss sie ja auch nicht lieben.«
    » Aber was ist, wenn sie uns dort nicht mögen?«, hatte Johan gefragt.
    » Ja, dieses Risiko besteht. Aber wie viele mögen uns hier? Vielleicht haben wir im Gegenteil eine gute Startposition, wenn wir der Dorfgemeinschaft helfen, ihren Platz auf der Landkarte zu behalten. Wir würden ihre Ortschaft ja in gewisser Weise retten. Sie brauchen uns.«
    » Kaum vorstellbar, dass mich mal jemand brauchen würde«, hatte Johan geantwortet.
    » Und mich…«
    » Das hätte ich nie gedacht. Also, was sollen wir ihnen sagen?«, hatte Johan schließlich gefragt.
    Rosita hatte ihn lange angesehen und seine tätowierte Hand in ihre gelegt.
    Der Rückweg fühlte sich weiter als der Hinweg an. Zwei Stunden mit strömendem Regen hatten die Fahrt auch länger dauern lassen. Als sie endlich in Eksjö ankam und den Kreisverkehr vor dem Bahnhof erreichte, konnte sie beinahe sehen, wie sie selbst dort vor ein paar Monaten gestanden hatte. Und am nächsten Wochenende würde sie Cilla auf dem Bahnsteig erwarten. Wie das wohl werden würde? Oberklasse-Cilla in ihrer kleinen, bescheidenen Bruseryd-Wohnung? Was könnten sie unternehmen? Sie könnte ihr natürlich die Zeitungsredaktion und die Altstadt mit den schönen Holzhäusern zeigen und sie mit der tollen Kuchenauswahl in Lennarts Café bekannt machen, doch dann…? Aber so war es nun einmal. Wenn es ihr nicht gefiel, musste sie eben wieder zurückfahren.
    Im gleichen Moment, in dem der Volvo durch die Stadt fuhr, saß Åke ein paar hundert Meter vom Kreisverkehr entfernt in seinem Backsteinhaus und feilte an einem Brief. Mehrmals schrieb er ihn um, bevor er schließlich zufrieden war, mit einem Füllfederhalter unterschrieb und den Bogen in einen weißen Umschlag legte. Zur selben Zeit, ein paar Kilometer weiter nördlich, stand Annika vor dem Kleiderschrank und betrachtete ihre Garderobe. Sie probierte Blusen und Jacketts sowie Röcke und Hosen an. Schließlich entschied sie sich für einen knielangen Jeansrock, eine weiße Bluse und ein dunkelblaues Jackett. Während Annika vor dem Spiegel verschiedene Sätze und Gesichtsausdrücke probierte, rollte Fridas Volvo aus der Stadt heraus.
    Es regnete leicht, während sie auf Bruseryd zufuhr. Der Wagen passierte die unangenehm fehlkonstruierte Kurve, und auf dem grauen Steinblock entdeckte Frida das wohlbekannte Profil. Gunnel saß gebeugt und hatte den Kopf in die Hände gelegt. Frida verlangsamte die Geschwindigkeit, setzte den Blinker, bremste ab und hielt am Straßenrand an. Eine Frage musste sie noch stellen.
    Ein unverhofft starker Wind fuhr durch die Bäume. Als er die offene Ackerfläche erreichte, entstand eine ungewöhnliche Turbulenz, die Erd- und Schmutzpartikel vom Boden aufwirbelte und hoch in die Luft emporblies. Im Zentrum dieser Luftsäule begann die unterdrückte Wahrheit, sich langsam an die Oberfläche zu kämpfen. Eine Hand, eine Umarmung, ein paar tröstende Worte und ein Sonnenstrahl, der plötzlich hinter dem brausenden Bach durch die regenschweren Wolken brach, führten dazu, dass Gunnel nicht länger vermochte, das abscheuliche Untier in sich selbst zu bekämpfen.
    » Es war nicht nur das
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