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Wir wollen Freiheit

Wir wollen Freiheit

Titel: Wir wollen Freiheit
Autoren: Julia Gerlach
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lösen sich aus der Gruppe. Sie winken einem vorbeifahrenden Polizeiwagen zu und rufen: »Hey, Brüder. Kommt her! Hier ist auch Platz für euch!« Die Polizisten starren sie mit offenem Mund an. So etwas haben sie noch nie gesehen und womöglich wurden sie auch noch nie von solchen Mädchen, ganz offenbar aus besseren Familien, direkt angesprochen. Schüchtern winken sie zurück und die Mädchen jubeln: »Was Tunesien kann, können wir schon lange!«, sagt die mit den offenen Haaren, Mariam, eine 2 3-jährige Studentin. »Wir haben gesehen, dass ein System gestürzt werden kann, wenn die Jugend zusammenhält«, sagt die andere. »Ihr werdet schon sehen!«, verspricht sie und zieht dann mit den Demonstranten weiter Richtung Tahrir-Platz. Am Eingang zum Platz bringt sich gerade die Polizei in Stellung. Ein Wasserwerfer kommt herangefahren |15| und als die Demonstranten fast da sind, spritzt er los. Das war es dann wohl.
    Doch dann hört der Wasserwerfer wieder auf zu schießen. Die Polizeireihe öffnet sich und die Demonstranten ziehen weiter. Sie erreichen den Tahrir-Platz. Was für ein Gefühl! Aus den Nebenstraßen kommen weitere Jugendliche herbei. Jubelnd besetzten sie die Verkehrsinsel mitten auf dem Platz. Da klingelt mein Telefon. Eine Freundin ist dran: »Es ist der Wahnsinn, ich bin auf der Demo in Mohandessin. Es sind Tausende und die Polizei lässt uns ziehen«, ruft sie. Kurz darauf kommt eine andere, noch viel größere Gruppe über die Nilbrücke Richtung Tahrir-Platz marschiert. Es sind mehrere Tausend und langsam füllt sich der Platz. Immer weitere Demonstrationszüge treffen ein.
     
    »Das war unsere Strategie: Wir haben uns auf viele verschiedene Treffpunkte aufgeteilt und sind dann von dort aus losmarschiert«, erzählt Aid Beshir. Der 2 6-Jährige mit der Wollmütze über den langen Haaren ist Kellner und gehört zum Kreis von Aktivisten, die den Protesttag mitorganisiert haben: »Wir wollten zum Tahrir-Platz, aber wir wussten, dass die Behörden alles daran setzen würden, genau das zu verhindern. Also teilten wir uns auf und zwangen die Polizei, sich ebenfalls zu verteilen. Diese Strategie haben wir teils online, aber dann auch bei Treffen verabredet«, sagt er. »Natürlich hatten auch die Behörden unseren Aufruf auf Facebook gesehen. Immerhin hatten fast 50   000   Leute angeklickt, dass sie sich an dem »Tag der Revolte« beteiligen würden. Aber der Klick im Netz ist schnell gemacht. Wirklich auf die Straße zu gehen, ist noch einmal etwas anderes und das hat uns die Regierung nicht zugetraut«, ergänzt Samah Farouk. Die 3 0-Jährige mit einem lose gebundenen Kopftuch und dem strahlend türkisen Lidstrich ist Karikaturistin und versorgt ihre Facebookfreunde seit Jahren mit bitterbösen Anti-Regierungskarikaturen. » |16| Ich habe mit zu diesem Aufstand aufgerufen und natürlich bin ich mitgegangen, als der Protest aus dem Internet in die richtige Welt verlegt wurde. Genau das ist es, was die Regierung nicht für möglich gehalten hat. Sie hielt uns für dumpfe Facebookler, die nichts zustande bringen und die nie hinter ihren Computern hervorkommen würden. Eine nutzlose Generation. Ha, da haben sie sich eben getäuscht. Gewaltig getäuscht!«, sagt sie.
     
    »Es war ein Wunder und es passierte an diesem Dienstag zwischen zwei und drei Uhr nachmittags«, beschreibt Gamal al Ghitani. Der 6 7-Jährige ist einer von Ägyptens bekanntesten Schriftstellern. Er selber war nicht demonstrieren. Nach einer schweren OP geht er kaum noch vor die Tür. Er saß wie viele Millionen Ägypter an diesem Nachmittag gebannt vor dem Fernseher. »Es war ein magischer Moment, als die Demonstranten den Tahrir-Platz erreichten. Der Platz der Befreiung ist ein so symbolischer Ort. Dort läuft alles zusammen: Dort ist das riesige Verwaltungsgebäude, dort ist das Ägyptische Museum, unsere kulturelle Erinnerung, und dort steht natürlich auch die Zentrale der Regierungspartei. Am Allerwichtigsten ist aber, dass der Tahrir-Platz auch dicht am Nil liegt. Bei uns passiert alles Wichtige am Ufer des Nils«, beschreibt er.
    Das Thema vieler seiner Bücher ist das Schweigen und Stillhalten der Ägypter, ihre Unterordnung unter den Herrscher. Die Ägypter werden oft als sehr duldsame, obrigkeitshörige Menschen beschrieben. Fellachen eben, die an das harte Leben gewöhnt sind und bei denen schon seit Tausenden von Jahren Pharaonen regieren. »Doch das Schweigen ist eine Täuschung. Wenn die Ägypter aufwachen, sich
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