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Wir wollen Freiheit

Wir wollen Freiheit

Titel: Wir wollen Freiheit
Autoren: Julia Gerlach
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sich lange nicht durchringen, die Demonstrationen zu unterstützen. Das kümmert die jungen
Brüder
allerdings wenig. Sie sind von Anfang an dabei und schließlich schwenken auch die Führer um und rufen ihre Anhänger auf die Straße. »Warum unsere Führer sich so zurückgehalten haben, kann ich nicht erklären«, sagt Mustapha Ali. Vielleicht sei es die Angst gewesen, dass die Polizei gegen die
Brüder
besonders hart vorgehen würde, in den letzten Wochen waren wieder viele verhaftet worden. Vielleicht haben sie auch nicht geglaubt, dass so viele Menschen kommen würden: »Egal aber, was zum Zögern der Führer geführt hat, es war eine sehr weise Entscheidung. Es ist gut, dass wir dabei sind, aber nicht unsere Fahnen tragen, sonst würde dies schnell ein Aufstand der Parteien. Die Chance liegt doch gerade darin, dass sich das ganze Volk erhebt«, erklärt er. Eine Frau mit Kopftuch und langem Mantel, die das Gespräch mit angehört hat, mischt sich ein: »Ich finde es sehr gut, dass es endlich mal nicht immer um Islam und Dschihad geht. Das haben wir lange genug gehört. Ohne dass es etwas gebracht hätte. Ich denke, dass die große Chance darin liegt, dass wir mit den Zielen soziale Gerechtigkeit, Ende der Korruption und Demokratie mehr Menschen auf die Straße bringen als mit den religiösen Parolen«, sagt Nadia Barat. Sie ist Anfang dreißig, Lehrerin und heute das erste Mal überhaupt auf einer Demo: Sie ist zur Moschee nach Giza gekommen, weil ihr Mohammed ElBaradei Hoffnung macht. Die Kritik, dass er die meiste Zeit im Ausland lebe und keine Ahnung vom Leben der normalen Ägypter habe, wischt sie mit einer Handbewegung |25| weg: »Er ist ein gebildeter Mann und es ist gut, dass er viele Jahre im Ausland gelebt hat. Der wird Ägypten in Ordnung bringen«, sagt sie. Den Chef der Arabischen Liga Amr Mussa fände sie noch besser, aber der habe sich bisher noch nicht in die Revolte eingereiht.
    »Ich verstehe gar nicht, wieso ihr alle von einer neuen Regierung sprecht«, mischt sich ein Mann in Lederjacke ein. »Die Jugendlichen auf der Straße wollen, dass die Preise gesenkt werden und die Löhne erhöht. Die Regierung wird es richten und dann geht alles normal weiter«, sagt er. »Wieso fürchtest du dich so, Bruder, oder bekommst du Geld, dass du so redest und das Geschwätz der Regierung wiederholst?«, schimpft die Lehrerin: »Wo ist denn unser toller Präsident? Wir stellen berechtigte Forderungen und als Antwort schickt er uns Tränengas und schaltet das Internet aus. Seit Tagen haben wir ihn nicht mehr gesehen. Wahrscheinlich hat er Angst oder er ist vor Schreck gestorben«, sagt sie.
    »Ich habe eben mit eigenen Augen gesehen, wie ein Zivilpolizist ein Auto angezündet hat.« Ein aufgebrachter junger Mann kommt in die Gasse: »Dann werden sie hinterher in ihren Lügenmedien sagen, dass es die Demonstranten waren, die gewütet haben!« Das brennende Auto hat die Polizei dann in die Menge der Demonstranten geschoben. Ragab Mustapha, der Mann mit dem Turban, schaut jetzt doch besorgt: »Es wird schon gut gehen«, murmelt er.
    Im Café der Gasse schauen Männer
Al Dschasira
. Der Satellitensender berichtet seit Stunden live über die Proteste: Im ganzen Land tobt der Straßenkampf.
Al Dschasira
hat die Rolle von Internet und Handy mit übernommen: Die Moderatoren geben bekannt, wo demonstriert wird, und es werden sogar Twitter-Botschaften verlesen.
Al Dschasira
und die anderen Satellitenkanäle spielen eine entscheidende Rolle für die Revolte. Das sieht auch die Regierung so. Immer wieder wird die Dschasira-Frequenz auf dem Satelliten blockiert. Einer |26| der
Al
Dschasira
-Korrespondenten wird verhaftet. Doch es wird weiter gesendet.
    Gegen 19   Uhr zeigt der Sender ein Bild, das kaum jemand so schnell vergessen wird: Die Zentrale der Regierungspartei geht in Flammen auf. Kurz darauf zieht sich die Polizei zurück. Panzer fahren auf den Tahrir-Platz und werden von den Demonstranten jubelnd begrüßt. An diesem Abend läuft auf
Al Dschasira
auch das Video, das für viele das Bild der Revolution prägt: Es zeigt einen jungen Mann auf einer der Nilbrücken. Ein Wasserwerfer fährt schnell auf ihn zu. Statt wegzurennen, bleibt er mit ausgebreiteten Armen stehen. Woher nehmen die Demonstranten nur diesen Mut? »Es gab einen Moment, da haben wir die Angst verloren. Wir konnten nicht aufhören und mussten weitermachen. Ob wir dabei sterben oder nicht, verlor an Bedeutung!«, erzählt der Aktivist Walied
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