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Wir wollen Freiheit

Wir wollen Freiheit

Titel: Wir wollen Freiheit
Autoren: Julia Gerlach
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Raschid später. Für viele Demonstranten ist dieser Freitag der Tag, an dem sie ihre Angst verlieren.
    Für die anderen Ägypter hingegen passiert in dieser Nacht genau das Gegenteil: Für sie fängt die Angst jetzt an. Kurz nach dem Rückzug der Polizei beginnt die sogenannte
Baltagia
ihr Unwesen: Direkt übersetzt bedeutet
Baltagia
»Leute, die gegen Geld Böses tun«. Die
Baltagia
ist eine typische Erfindung des Systems Mubarak: Parlamentarier, die Polizei und auch reiche Geschäftsleute unterhalten sich Trupps von Schlägern, die zur Einschüchterung ihrer Gegner eingesetzt werden. Rekrutiert werden die
Baltagis
aus den Armenvierteln und vom Land. Für ein paar Pfund dienen sie ihrem jeweiligen Herrn. Ob die Geschäfte, die in dieser Nacht geplündert werden, von der
Baltagia
allein oder mit Unterstützung der Polizisten, die sich nach dem Rückzug von der Straße die Uniformen auszogen, ausgeräumt werden, ist ungeklärt. Sicher ist, dass die Polizei die Gefängnisse öffnet, und Strafgefangene berichten später, dass man ihnen Waffen und Geld gab, um sich »ihr Recht« zu nehmen. Ein |27| paar Tage später entdeckt eine Reporterin von
Al Dschasira
im Keller eines Gefängnisses ein paar Häftlinge, die sich geweigert hatten, wegzulaufen und zu plündern: »Ich habe neuneinhalb Jahre meiner Strafe verbüßt. Es fehlt noch ein halbes Jahr, dann bin ich ein freier Mann. Diese Zeit möchte ich bitte noch hier ordentlich absitzen«, sagt einer dieser Häftlinge. Ein anderer hingegen lässt sich nicht zweimal auffordern, die Zelle zu verlassen: Essam Al Erian ist der Sprecher der
Muslimbruderschaft
. Er wurde mit vielen anderen
Brüdern
am zweiten Tag der Revolte verhaftet. »Zuerst wurden die Zellen der Kriminellen geöffnet und die sind dann durchs Gefängnis gelaufen und haben uns auch befreit. Keiner von denen wusste, wer ich bin. Das war vielleicht auch besser so«, erzählt er einige Tage später am Telefon. Er hat sich dann mit den anderen Befreiten auf den Weg nach Kairo gemacht.
    In jedem anderen Land mit so krassen sozialen Unterschieden wie Ägypten wären in so einer Nacht die Menschen aus den Armenvierteln losgegangen und hätten bei den Reichen geplündert oder sich zumindest in Supermärkten und Geschäften bedient. Es gibt auch in Ägypten einige Plünderungen dieser Art, aber erstaunlich wenige. So werden mehrere Shopping-Malls ausgeräumt, aber längst nicht alle. Es werden einige Wohnanlagen der besonders Reichen angegriffen, aber in den meisten Villenvierteln passiert nichts. Dafür werden aber in den Armenvierteln Geschäfte zerstört und es wird in Wohnungen eingebrochen. Es geht ganz offensichtlich darum, das Volk einzuschüchtern. Angst sollen die Menschen haben und bereuen, dass sie sich von Mubarak abgewandt haben. So wie er im Ausland droht: Wenn ich gehe, dann kommen die Islamisten, lautet die Botschaft nach innen: Ich oder Chaos! Die entlassenen Strafgefangenen und dass im ganzen Land Polizeistationen geplündert und niedergebrannt wurden, schürt diese Angst weiter. Die Polizei schützt die Menschen nicht mehr und ihre Waffen sind in den Händen der
Baltagia
.
    |28| Auch rund um den Tahrir-Platz werden Geschäfte geplündert und Autos angezündet. Ob dies allerdings wirklich der Zorn der Demonstranten à la 1.   Mai in Kreuzberg ist, bleibt unklar: Augenzeugen wollen Polizisten gesehen haben, welche die Scheiben einschlugen und die Waren wegtrugen. Wer weiß? Auch in das Ägyptische Museum wird eingebrochen. Allerdings verhindern die Demonstranten hier, dass Schlimmeres passiert: Sie bilden eine Menschenkette und schützen ihr Museum. Ein halbes Dutzend Diebe dringen dennoch ein und stehlen einige seltene Stücke. Tarik Awadi, der Direktor des Museums ist sich sicher, dass die Diebe keine Profis waren, die von Sammlern oder gar von der Antiquitätenbehörde geschickt wurden. »Die hatten keine Ahnung. Sie waren auf der Suche nach Gold. So haben sie beispielsweise eine gelbliche Statue von Echnathon mitgenommen und als sie feststellten, dass sie aus Sandstein und nicht etwa aus Gold war, haben sie sie wieder weggeworfen«, sagt er. Sie wurde später im Garten des Museums gefunden.
    Samstag   – Tag der Bürgerwehren
29.   Januar 2011
    Am Samstag organisiert sich Ägypten. Die Angst bringt die Menschen auf die Straße. Bei uns in der Straße sind es zuerst die Männer aus dem Wohnblock gegenüber, die sich auf der Straße treffen. Einer hat einen Baseballschläger in der Hand, ein
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