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Wir wollen Freiheit

Wir wollen Freiheit

Titel: Wir wollen Freiheit
Autoren: Julia Gerlach
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anderer trägt einen Revolver, der dritte, ein Anwalt, hat sich mehrere Steakmesser in die Hosentasche gesteckt. Nach und nach kommen auch aus den anderen Häusern die Männer heraus. Frauen werden gleich weggeschickt. Dies hier ist gefährlich, Männersache, sagen sie. Am Ende der Straße fallen Schüsse. Ist das eine Maschinenpistole? Geschrei. Manche der Jüngeren laufen hin. Die Älteren bleiben mit zusammengekniffenen |29| Lippen vor ihren Häusern stehen: »Ich werde nicht zulassen, dass man uns ausplündert. Ich kann verstehen, dass es in diesem Land Arme gibt, viel zu viele Arme und dass die wütend sind und ihr Recht verlangen. Aber ich lasse mich nicht ausplündern«, sagt der Anwalt. »Das sind ja auch keine Armen. Das sind die Sträflinge aus den Gefängnissen. Gangster. Mörder. Das sind keine Menschen«, sagt sein Nebenmann, ein pensionierter Ingenieur.
    Auf der Hauptstraße haben einige Jüngere eine Straßensperre errichtet. Autos werden angehalten, Papiere kontrolliert und die Menschen ausgefragt: Wo wollen Sie hin und wieso? Wer keine plausible Antwort weiß, muss sich auf etwas gefasst machen. In Nasser City, einem Stadtteil von Kairo, sollen in dieser Nacht zwei Männer an einen Laternenpfahl gebunden worden sein. Ihre Geschichte überzeugte nicht.
    Kurz nach Mitternacht kommen zwei Gestalten die Straße entlang. Mit großer Demut halten sie ihre Personalausweise den Straßenwächtern hin: Die beiden jungen Männer waren auf dem Tahrir-Platz zum Demonstrieren, und da es heute Nacht weder U-Bahn noch Taxi gibt – welcher Fahrer hätte schon Lust, alle hundert Meter Fragen zu beantworten   –, mussten sie den ganzen Weg zurück nach Hause laufen. Maadi liegt etwa 10   Kilometer vom Tahrir-Platz entfernt. Immer und immer wieder haben sie sich ausfragen lassen und immer und immer wieder haben sie erzählt, dass die Stimmung auf dem Platz heute friedlich war. 50   000 sollen es gewesen sein, aber wer kann solche Massen schon schätzen? Das Militär hat zugeschaut und die Soldaten haben sogar gelächelt, als die Demonstranten »Hau ab Mubarak!« auf ihre Panzer sprühten. Ja, die Revolte geht weiter. Daran ändert auch die Rede Mubaraks von vergangener Nacht nichts. Schließlich, nach tagelangem Zögern, hatte sich der Präsident ans Volk gewandt und angekündigt, die Regierung zu entlassen und Geheimdienstchef Omar Suleiman zum Vizepräsidenten zu ernennen. Am |30| Samstagnachmittag wurde dann dessen Vereidigung im Fernsehen übertragen.
    Inzwischen haben ein paar Männer mitten auf der Straße ein Lagerfeuer angezündet. Die Hausmeister der Straße trinken Tee und daneben haben sich der Anwalt, der Ingenieur und ein paar weitere Nachbarn Stühle zurechtgerückt. Nur noch ab und zu wird jetzt geschossen und die Männer diskutieren die Lage: »Omar Suleiman ist ein angesehener Mann, Chef des Geheimdienstes. Wenn Mubarak ihn vor einem Monat zu seinem Vizepräsident ernannt hätte, dann würden wir heute nicht hier sitzen. Aber so: Was für ein Witz!«, sagt der Anwalt. Der pensionierte Ingenieur winkt ab: »Omar Suleiman mag angesehen sein, aber bei wem? Vor allem im Ausland! Er ist ständig in den USA gewesen und ist dicke mit den Israelis. Der hat unser Vertrauen nicht verdient«, sagt er. »Na, aber wer weiß? Vielleicht ist es auch alles anders und Omar Suleiman wird den Alten entmachten und damit ist das Problem gelöst«, widerspricht der Anwalt. Wer weiß? Wichtig ist auch die Frage, wie sich die USA verhalten: Werden sie zu ihrem Freund Mubarak halten – immerhin bekommt Ägypten jährlich 1,5   Milliarden Dollar Finanzhilfe aus den USA – oder werden sie die Protestbewegung unterstützen? Gestern Abend hat nicht nur Mubarak gesprochen, auch Präsident Barack Obama äußerte sich: »Wir brauchen einen ernstgemeinten Dialog zwischen Regierung und Bevölkerung.« Das war nicht das, was die Ägypter von ihm hören wollten.
    Dass es trotzdem nur noch eine Frage der Zeit ist, bis Mubarak abtritt, daran hat an diesem Abend kaum jemand Zweifel. Die Gewalt gegen die Demonstranten gestern, es gab unzählige Tote und Verletzte, bringt die Menschen auf. Ganz besonders nehmen sie ihrer Regierung jedoch übel, dass sie in diesen Stunden solche Angst haben. Sehr übel sogar. Sicherheit ist der wunde Punkt der Ägypter. Bei allen Problemen des Landes, immerhin sicher war es bisher, Kriminalität |31| und Gewalt die absolute Ausnahme – und nun so etwas.
    Horrormeldungen machen die Runde: »Auf der 9.
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