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Wir wollen Freiheit

Wir wollen Freiheit

Titel: Wir wollen Freiheit
Autoren: Julia Gerlach
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erheben, dann tun sie es gewaltig. Das war schon zur Zeit der Pharaonen so«, sagt Gamal al Ghitani und der 25.   Januar 2011 zwischen 14 und 15   Uhr, das war für ihn dieser Moment, |17| auf den er schon lange gewartet hat. Der Moment, als Ägypten sich erhob.
     
    Gerade da ist Schahira Amin beim Friseur fertig und sieht die Demonstranten über die Brücke kommen: »Es war nicht zu fassen. Ich bin dann gleich zum Fernsehgebäude gerast und habe die Sicherheitsleute des TVs alarmiert. Ich hatte natürlich Angst, dass sich die Wut dieser Demonstranten gegen das staatliche Fernsehen richten könnte und wer würde es ihnen verdenken?«, sagt sie. Schahira Amin ist am 25.   Januar um 15   Uhr noch eines der Gesichter des ägyptischen Regimes: Sie ist Anchor-Lady und stellvertretende Direktorin vom englischen Kanal des staatlichen Fernsehens. An diesem Nachmittag hat sie eine Sendung: »Ich sollte die Nachricht verlesen, dass es sich um Proteste der
Muslimbruderschaft
handle. Da wusste ich, dass etwas nicht stimmt, denn die Jugendlichen, die ich da gesehen hatte, die sahen so gar nicht nach
Muslimbrüdern
aus.« In ihrer Talk-Show am Abend lässt man sie mit einem Parteifunktionär darüber diskutieren, wie sehr die Demonstranten von Hamas, Hisbollah und Mossad unterwandert sind. »Mir war schlecht, als ich abends aus dem Sender heimfuhr«, erzählt sie. Als sie in ihr Auto steigt, um in den feinen Vorort Maadi zu fahren, da hat sich die Demo vom Tahrir-Platz bereits zu einer Art Volksfest verwandelt.
    Zuvor, gegen 17   Uhr macht die Polizei einen Versuch, dies noch zu verhindern: Sie fährt mit Wasserwerfern in die Menge. Tränengas wird geschossen. Manche Demonstranten rennen weg, aber die meisten bleiben einfach stehen. Sie schieben die Polizeiwagen rückwärts aus der Menge heraus und kurze Zeit später zieht sich die Polizei zurück. In Gruppen stehen die Jugendlichen zusammen, plaudern. Manche holen Tee und andere etwas zu essen. Ein erstes Zelt wird aufgestellt und Kinder beginnen, mit Kreide den Platz anzumalen. Hier und jetzt entsteht zum ersten Mal das Tahrir-Gefühl. |18| Die Menge ist bunt gemischt: Arm und reich, religiös und nicht so religiös, gebildet und weniger gebildet. Doch sie respektieren sich und finden es toll, dass sie endlich einmal mit Menschen zusammenkommen, die sie sonst nicht treffen. Bis morgens um drei geht die Party. Es wird Laute gespielt und einige tanzen sogar.
    Ganz so spontan und ungesteuert, wie der Aufstand wirkt, ist er jedoch nicht. Alle paar Stunden kommen in einer Ecke des Platzes ein paar Männer und Frauen zusammen und beraten: Wie soll es weitergehen? Was machen wir als Nächstes? »Keiner von uns hatte ernsthaft damit gerechnet, dass wir so weit kommen«, erzählt Khaled Abdel Hamid. Er gehört zum engsten Kreis der Jugendlichen der Revolution. Was wie ein großes Wunder erscheint, dass sich das Volk plötzlich und ohne Vorwarnung erhebt und einem Aufruf auf Facebook folgt, wurde in Wirklichkeit von einer Gruppe von Aktivisten lange vorbereitet. »Doch in unseren kühnsten Träumen haben wir nicht gedacht, dass wir auf dem Tahrir feiern dürfen«, sagt er. Gegen drei Uhr morgens ist es dann auch vorbei – die Polizei kommt und räumt den Platz. Brutal beendet sie den ersten Tag der Revolution; es gibt zahlreiche Verletzte und viele Verhaftete. In Suez, wo auch demonstriert wird, sterben vier Menschen. Die Empörung über diese Gewalt sorgt dafür, dass die Demonstrationen am nächsten Tag weitergehen und die Revolte Schwung aufnimmt.
    Mittwoch   – Tag des Staunens
26.   Januar 2011
    Am Morgen verkündet der Innenminister, dass weitere Proteste nicht geduldet werden. Das ist keine Übertreibung. Die Polizei macht Jagd auf alle, die aussehen wie Demonstranten. Besonders im Visier stehen Gruppen von Jugendlichen, |19| die Twitter-Meldungen folgend durch die Stadt traben. Sie ziehen von einem Demonstrationsversuch zum nächsten. Es gibt ein Katz- und Maus-Spiel, organisiert wird es unter anderem von den »Ultras Zamalek«. Die Hooligans des großen Kairoer Clubs sind erfahren in den Auseinandersetzungen mit der Polizei und dieses Spiel macht ihnen ganz offenbar Spaß.
    Für den frühen Nachmittag lädt die Opposition zur Pressekonferenz in die Parteizentrale der liberal-konservativen »Al Ghad   – Morgen«-Partei. Nacheinander kommen die Vertreter der Oppositionsparteien zum Rednerpult und loben die Demonstranten: »Wir ziehen unseren Hut vor diesen
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