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Wir sind was wir haben - Die tiefere Bedeutung der Dinge fuer unser Leben

Wir sind was wir haben - Die tiefere Bedeutung der Dinge fuer unser Leben

Titel: Wir sind was wir haben - Die tiefere Bedeutung der Dinge fuer unser Leben
Autoren: Annette Schaefer
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sie keine besondere Bedeutung hatte. Insbesondere bei größeren Anschaffungen – eine neue Couchgarnitur, eine Einbauküche, ein Klavier – schienen sie eher zurückhaltend zu sein. Dabei spielten offenbar eine gewisse Angst und Unsicherheit eine Rolle. »Wir lassen es mit dem Kaufen langsam angehen«, sagte einer. »Im Hinterkopf ist immer der Gedanke, dass es wieder passieren kann.« Und es war wohl auch die Erkenntnis: Persönlich bedeutungsvolle Dinge, Gegenstände, die mehr als nur einen Nutzwert haben, kann man nicht einfach so kaufen. Genauso wie sich Beziehungen zu Menschen nicht über Nacht entwickeln, braucht es Zeit, die vier Wände mit Sachen zu füllen, mit denen sich der Besitzer auf eine tiefere Weise verbunden fühlt.
    Auch bei Robert Wiezorek, dem Filmemacher aus Köln, dauerte es eine Weile, bis er wieder so etwas wie ein Zuhause hatte. Er fand zwar schnell eine neue Bleibe, die ganz in der Nähe der alten liegt. Doch mit dem Einrichten ließ er sich Zeit. Zu tief war der Schmerz über die verlorenen Schätze. Ein ganzes Jahr lang dauerte es, erzählt er, bis die akute Trauer nachgelassen hatte. So blieben die Zimmer seiner Wohnung zunächst kahl und leer. Er kaufte im Internet eine Matratze und lebte auch sonst auf Studentenniveau. Nur langsam packte er die Kartons mit den Sachen aus, die die Feuerwehr aus der alten Wohnung gerettet hatte. Und Schritt für Schritt begann er auch, sich neu einzurichten. Monatelang war er damit beschäftigt, Dinge auszuwählen. Dabei orientierte er sich stark an seinem früheren Haushalt. Von Freunden hörte er oft: »Das sieht ja aus wie in deiner alten Wohnung.« Auch die verlorene Büchersammlung versuchte er wieder genauso aufzubauen und wenn möglich sogar die exakt gleichen Ausgaben zu finden.
    Man mag das für extrem halten. Zuweilen frage er sich selbst, räumt Wiezorek ein, ob sein Verhalten einen gelingenden oder eher einen missglückenden Genesungsprozess signalisiert. Doch insgesamt, betont er, habe er ein gutes Gefühl: »Schließlich habe ich die alte Wohnung sehr bewusst eingerichtet.« Und auch sein Bücherritual empfindet er als hilfreiche Bewältigungsstrategie. Wenn die bestellten Titel kommen, packt er sie aus, sagt »Herzlich Willkommen« und stellt sie ins Regal: »Gelesen habe ich sie ja schon. Manchmal kommt mir das komisch vor, aber eigentlich tut es gut.«
    Die traumatische Erfahrung hat ihn verändert, sagt er: »Was meinen Stil angeht, bin ich noch extremer geworden.« Auch früher schon habe er sich gern mit qualitativ hochwertigen und ungewöhnlichen Möbeln umgeben. Doch nun habe sich in seiner Wohnung Massivholz auf ganzer Front durchgesetzt, es gebe fast nichts mehr von Ikea. Ähnlich geht es ihm mit seiner Kleidung: »Ich spiele mit dem Gedanken, mir Klamotten anfertigen zu lassen. Darüber habe ich früher nie nachgedacht. Aber jetzt drängt es mich, wirklich individuelle Sachen zu besitzen, nichts mehr von der Stange.«
    Auch sonst lässt ihn das Thema Besitztümer nicht los. Wiezorek hat viel über die Beziehung zwischen Menschen und Dingen nachgedacht, über seine eigene Faszination für materielle Objekte, seine tiefen Gefühle, als er seine Sachen verlor, aber auch über generelle Fragen: Machen Menschen Dinge oder machen Dinge den Menschen; wer beeinflusst wen? Was treibt fanatische Sammler, unverbesserliche Messies? Wie mit dem Spannungsverhältnis zwischen materieller Lebensqualität und den ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen von Konsum umgehen? Womöglich wird daraus sogar bald ein Film entstehen.

KAPITEL 2
    Dinge und Selbst: Warum wir sind, was wir haben
    S ara Kiesler, eine Professorin für Mensch-Computer-Interaktion, die an der Carnegie Mellon University in Pittsburgh lehrt, hat ein Faible für originelle Experimente. Vor ein paar Jahren lud sie 36 Studenten zu einer kleinen Filmvorführung ein. Oscar-verdächtig war der Streifen, den sie zeigte, nicht gerade. Auf einem Computerbildschirm sahen die Probanden ein kleines und ein großes Dreieck sowie einen Kreis, die sich umherbewegten, zuweilen gegeneinanderstießen und einen rechteckigen Bereich »betraten« und wieder verließen. Der Clou des Experimentes: Einigen Teilnehmern wurde vorab gesagt, das kleine Dreieck gehöre ihnen. Die Wirkung war verblüffend. Während die Beobachter, bei denen keine Besitzansprüche geweckt worden waren, das Geschehen relativ distanziert beschrieben, reagierten die »Besitzer« deutlich emotional. Sie
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