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Wir sind was wir haben - Die tiefere Bedeutung der Dinge fuer unser Leben

Wir sind was wir haben - Die tiefere Bedeutung der Dinge fuer unser Leben

Titel: Wir sind was wir haben - Die tiefere Bedeutung der Dinge fuer unser Leben
Autoren: Annette Schaefer
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nur alles, was sie besaßen, sondern mussten den Untergang ihres Besitzes von Aussichtspunkten auf nahe gelegenen Hügel mit ansehen. In vielen Fällen wurden die Gebäude komplett weggespült. Bei ihrer Rückkehr fanden die Besitzer manchmal nur noch Leere vor. «Es war nichts übrig«, zitiert Erikson einen der Betroffenen. »[Das Haus] war sauber vom Grundstück weggewaschen. Man konnte rein gar nichts mehr von ihm sehen. Alles, was noch stand, war der Baum neben der Stelle, wo das Haus mal gestanden hatte.«
    Auf diese Weise sein Heim zu verlieren, würde wohl jeden umwerfen. Für die Bewohner dieser Gegend war es jedoch besonders schmerzlich. Bei den Opfern handelte es sich um Kumpel, die sich über viele Jahre wirtschaftlich hochgearbeitet und es zu einem nicht gerade wohlhabenden, aber doch komfortablen Leben gebracht hatten. Viele von ihnen lebten in Hütten, die die Bergwerksgesellschaft in den 1920 er und 1930 er Jahren für die damalige Belegschaft gebaut hatte. Die neuen Besitzer hatten eine Menge an Zeit, Fantasie und Muskelkraft investiert, um die alten Baracken in gemütliche, zeitgemäße Unterkünfte zu verwandeln. Die Häuser waren auf vielfache Weise umgestaltet worden: neue Wasser- und Stromleitungen, moderne Badezimmer und Fenster, Anbauten und Terrassen. Ein renoviertes Haus am Buffalo Creek, so Erikson, war nicht nur eine äußere Hülle, in der man sein Leben führte. Es diente als Symbol für den Aufstieg aus der Armut; es vermittelte ein Gefühl der Sicherheit, war ein Teil der eigenen Identität. »Für mich war es so wertvoll wie ein Hunderttausend-Dollar-Haus oder gar ein Millionen-Dollar-Haus. Es gehörte mir«, bestätigt eines der Opfer.
    Die meisten der geschädigten Besitzer erhielten später vom Grubenbetreiber eine Entschädigung. Doch das Geld und die neuen Unterkünfte, die sie damit finanzierten, waren für die Opfer nur ein kleiner Trost. »Ich habe jetzt ein neues Haus«, erzählte ein Mann, »und ich würde sagen, es ist viel schöner als das alte. Aber es ist ein Haus und kein Heim. Vorher hatte ich ein Heim. Damit meine ich, dass ich es selbst gebaut habe. Ich habe viel Schweiß hineingesteckt und Hunderte Nägel eingeschlagen; ich habe geschuftet und geschwitzt und mich herumgeplagt. Und dann war es weg. Als ich Samstagmorgen aufbrach, hatte ich ein Heim. Am Samstagabend hatte ich gar nichts mehr.«
    Es könne eigentümlich erscheinen, so Erikson, im Zusammenhang mit dem Verlust eines Hauses von trauernden Menschen zu sprechen. Aber sein Heim oder die Summe seiner Habe zu verlieren, betont der Soziologe, bedeute, die materiellen Anhaltspunkte zu verlieren, wer man ist und wohin man in der Welt gehört: »Als die Leute von Buffalo Creek beobachteten, wie ihre Besitztümer in die Senke stürzten, sahen sie einen Teil von sich sterben.«
    Die Nöte bestohlener Besitzer
    Nur wenige Leser werden Vergleichbares erlitten haben wie die Anwohner von Buffalo Creek. Die Kriegsgeneration wusste, was es heißt, seinen gesamten Besitz zu verlieren. Unter Angehörigen der jüngeren Generation sind solche Erfahrungen glücklicherweise eher die Ausnahme.
    Kleinere »Verlusttraumata« dagegen hat fast jeder schon erlebt: Man lässt den Ehering im Hotelzimmer liegen; eine Mappe mit Fotos der Großeltern ist nach dem Umzug nicht mehr auffindbar; ein Dieb entwendet ein Tagebuch mit persönlichen Aufzeichnungen. Solche Ereignisse mögen banal erscheinen. Doch auch wenn nur einzelne geliebte Dinge abhandenkommen oder sich ein Fremder den eigenen Sachen mit unlauteren Motiven nähert, können die Besitzer erhebliche Qualen durchleiden. Dies belegen zahlreiche Studien, in denen Wissenschaftler die psychischen Folgen von Diebstählen und Einbrüchen untersuchten.
    Der amerikanische Konsumforscher Russell Belk beispielsweise befragte Einbruchsopfer über ihre Emotionen und Gedanken direkt nach der Entdeckung der Tat. Viele empfanden das Eindringen des Diebes als schmerzhafte Grenzverletzung, die oft starke Wut hervorrief. Die weiblichen Befragten sagten, sie hätten sich fast so gefühlt, als ob sie körperlich angegriffen oder sexuell belästigt worden wären. Auch in einer britischen Studie des Kriminalwissenschaftlers Mike Maguire wählten weibliche Opfer den Vergleich mit einem sexuellen Übergriff. Sie sprachen von »Verschmutzung« und »Missbrauch« und haderten mit der Vorstellung, dass ein »dreckiger« Fremder ihre Sachen berührt hatte. Eine Frau meinte: »Schlimmer ist nur, einen
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