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Wir sind nur Menschen

Wir sind nur Menschen

Titel: Wir sind nur Menschen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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im schlimmsten Fall – ein grauenhaftes Ersticken.
    Die Münchner standen vor den Krankenhäusern Schlange, um Schutzimpfungen machen zu lassen. Serumspritzen wurden jeden Tag gegeben, aber die Angst blieb – und neue Fälle wurden eingeliefert …
    An einem Abend – es war der 24. Juni 1952, ein Dienstag – wurde in die Universitätsklinik auch ein Junge namens Peter Bender, eindreiviertel Jahre alt, eingeliefert.
    Die Mutter, Dr. med. Angela Bender aus Gauting, brachte ihn selbst, gefaßt, bleich, mit einem Gesicht wie aus Eisen. Ihre Diagnose war klar, so klar wie bei allen ihren Einweisungen: Primäre Anzeichen einer Kinderlähmung sowie eine deutliche Agglutination im Blutbild. Sofortige Rekonvaleszenz-Serum-Therapie …
    Die Ärztin spritzte selbst ihrem kleinen Peter das Gegenmittel. Dann saß sie die ganze Nacht an dem Bett, in dem sich sein fieberheißes Köpfchen hin und her warf. Sie weinte nicht – sie hatte mit starren Augen das Kind angesehen, dann schloß sie sie und ließ ihr ganzes Leben vor ihren inneren Augen vorbeiziehen.
    Da war Köln, die Lindenburg, ihre Praxis. Da war plötzlich der große, lachende Dr. Perthes, der ihr ein verunglücktes Kind zur Behandlung brachte. Man ging durch den Stadtwald, man tanzte bei dem Bankier von Barthey, man küßte sich bei einem Tango in ihrer Wohnung, und man war so glücklich, wie es zwei Menschen nur sein können, die sich ganz gehören …
    Sie erschrak. Professor Panzer war leise in das Zimmer getreten.
    »Etwa Neues, Frau Kollegin?« fragte er.
    Sie schüttelte den Kopf und fühlte den Puls ihres Kindes. »Nein, Herr Professor. Ich hoffe auf diese Nacht. Ich bete, daß das Fieber zurückgeht.« Sie senkte den Kopf auf die heiße, schweißige Hand des Kindes, auf die Hand, die klein und wie leblos auf der Bettdecke lag. »Ich weiß, ich bin hier machtlos …«
    »Wir sind Tag und Nacht an der Arbeit«, versuchte Professor Panzer einen Trost. »Wir haben einen Weg in Sicht … Haben Sie Hoffnung, Frau Kollegin. Kämpfen Sie um Ihr Kind …«
    »Das haben die anderen Mütter auch getan. Und trotzdem liegen die Kinder dort drüben …« Sie nickte aus dem Fenster in die Richtung, wo in der Dunkelheit der Nacht am Rande des Klinikgartens die flache Leichenhalle stand.
    »Sie sehen zu schwarz«, meinte der Professor begütigend.
    Die Stunden der Nacht gingen langsam dahin. Nie kann eine Stunde länger dauern, dachte Angela Bender, als wenn man erwartet, daß sie bald vorübergeht.
    Gegen vier Uhr morgens wurde der kleine Peter stiller. Sein Atem ging ruhiger, aber das Fieber blieb.
    Ein fahler, regnerischer Tag senkte sich über die große Stadt. Dr. Bender war am Bett ihres Kindes ein wenig eingenickt. Mit geschlossenen Augen saß sie aber trotzdem aufrecht neben dem Bettchen. Die Müdigkeit übemannte sie. Die Angst um ihr Kind schwächte sie. Verzweiflung wich der Ohnmacht.
    Wieder klappte die Tür in Angela Benders Rücken. Sie schreckte hoch, aber sie drehte sich nicht um. Es wird Professor Panzer sein, dachte sie.
    »Das Kind wurde gestern eingeliefert?« fragte eine Stimme hinter ihr.
    Sie zuckte zusammen wie unter einem harten Schlag. Diese Stimme … dieser Klang … Nein, das ist nicht wahr … Das kann doch nicht sein … Habe ich jetzt schon selbst das Fieber? Ich träume wohl noch …
    Sie stand langsam auf und nickte, aber sie wagte es nicht, sich umzudrehen. Sie hörte weiter, wie hinter ihr auf dem Tisch ein Papier raschelte, wie Kasten klapperten, wie mit leisem Klirren eine Ampulle aufgezogen wurde.
    Ein Zittern lief über sie. Warum hat er eine Spritze aufgezogen? Gleich wird er an das Bett kommen … Und er wird es nicht sein … Er kann es ja nicht sein … Er ist doch in Kolumbien, in den Urwäldern, bei seinen Wilden …
    Das Hantieren hinter ihr hörte auf. Sie vernahm, wie die Seite eines Buches umgeblättert wurde. Dann wieder die Stimme:
    »Sie kennen die Eltern, Frau Kollegin?«
    Sie nickte verkrampft vor sich hin. Ja, ich kenne sie! schrie es in ihr. Ich bin die Mutter, und du – du hinter meinem Rücken – mit der ruhigen ärztlichen Stimme –, du Mann mit der Spritze in der Hand – du bist …
    Du stehst vor deinem Kind, Peter Perthes! rief es in ihr weiter. Es trägt die Kinderlähmung in sich, die furchtbare Kinderlähmung, und du stehst wieder vor einer Station deines unruhigen Lebens … Komm doch endlich … Was zögerst du denn noch? So komm doch! Rette mein Kind, rette es doch! Unser Kind …
    Sie hörte seine
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