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Wir sind nur Menschen

Wir sind nur Menschen

Titel: Wir sind nur Menschen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Jugendzeit verleben, die sie in diesem Alter nie gekannt hatte. Er sollte niemals den Vater vermissen – sie wollte ihm beides sein, Vater und Mutter.
    Dafür arbeitete sie, dafür war sie nachts oft unterwegs, dafür assistierte sie in einer Kinderklinik und saß, wenn es die Praxis erlaubte, wenn Peter schlief oder mit dem neuerdings engagierten Hausmädchen ausgegangen war, in einem kleinen Labor, das sie sich in einer unbenutzten Dachkammer mit Erlaubnis der Frau Landsgerichtsratswitwe eingerichtet hatte. Dort baute sie neue Versuche auf ihr in Erlangen gelungenes Antitoxikum auf, konzentrierte die Wirkstoffe auf ein Maß, daß eine Injizierung von 4 ccm genügte, wo Peter damals noch 10 spritzen mußte, und entwickelte ein Mittel, das neben dem Gift der ›Schwarzen Witwe‹ auch eine Heilung bei anderen tierischen Giften versprach.
    Sie dachte daran, nach der völligen Durchforschung des Komplexes ihr neues Serum der Öffentlichkeit vorzustellen und Peters Zukunft damit für alle Zeiten zu sichern.
    Von Dr. Perthes hatte sie nichts mehr gehört.
    Sie hatte damals das Serum ohne Absender an Dr. Cartogeno geschickt, der ihr nach dem einen Brief nicht wieder geschrieben hatte. Daß Peter Perthes aus Kolumbien zurückgekommen war, daß er jetzt ganz in ihrer Nähe in München lebte, davon wußte sie nichts. Sie hatte im Mikroskop gesehen, daß ihr Serum half, und das Bewußtsein, Peter von seiner Lähmung gerettet zu haben, erfüllte sie mit Freude – aber auch mit der Gewißheit, daß hiermit die letzte Verbindung zu ihm abgebrochen sei. Sie hatte ihm den Glauben an sich selbst wiedergegeben, einen Glauben, den er dazu ausnützen würde, um zu bleiben und weiterhin in den riesigen Urwäldern den giftigen Reptilien nachzujagen und seine Forschungen zu betreiben.
    Für Dr. Angela Bender war mit diesen zehn Ampullen der Mensch Peter Perthes abgeschrieben. Sie selbst hatte es ihm ermöglicht, in den Tropen zu bleiben … und sie zwang sich nun, nicht mehr daran zu denken.
    In diesem Juni 1952 flammte in Bayern, vor allem in München, eine Geißel der Menschheit von neuem auf: die spinale Kinderlähmung.
    Die Kliniken hatten Großalarm. Die Ärzte standen vor einem Rätsel. Dr. Perthes jagte als Experte für Serologie von Konferenz zu Konferenz, von Krankenbett zu Krankenbett.
    Die Kinderlähmung forderte bereits die ersten Opfer …
    Der Virus griff um sich. Niemand wußte, woher er kam; keiner ahnte, wo es auftrat. Man stand vor einem Überfall durch diese Krankheit, die aus dem Dunkel zu kommen schien und dort auch endete …
    Dr. Perthes arbeitete wieder einmal wie ein Besessener.
    Die bisher angewandte Rekonvaleszenz-Serum-Therapie versagte. Die anderen Sera hatten nur aufhaltende Wirkung. Und in der Stadt München, besonders bei den Müttern von kleineren Kindern, schien eine Panik auszubrechen …
    Vierzehn Fälle von spinaler Kinderlähmung allein in der Universitätsklinik, davon bisher fünf tödlich.
    Dr. Perthes saß an den Bettchen der Kinder, an den isolierten Lagern der Erwachsenen und wußte keinen Rat mehr. Daß einige Stationen weiter Dr. Bender auf einer Station für Scharlach arbeitete, ahnte er nicht. Drei dünne Wände trennten sie …
    Einige Zimmer nur, die mit den großen Türen auf einen gemeinsamen Balkon hinausliefen. Aber das Schicksal wollte diese Türen nicht öffnen … Es spielte weiter mit den beiden Menschen mit einer Unergründlichkeit, die wir nicht begreifen können …
    Schon schlich das Gespenst der Hilflosigkeit durch die Krankenhausflure, durch die Säle, durch die Isolierstationen, durch die Ärztezimmer. Der Leiter der serologischen Abteilung, Professor Dr. Panzer, saß mit seinen Mitarbeitern Nacht für Nacht über den Mikroskopen – am Tag besuchten sie die Kranken und gingen meistens achselzuckend aus den Zimmern hinaus.
    Dr. Perthes hatte alle Freiheiten. Er verfügte über das riesenhafte Elektronenmikroskop, und es gab nichts, was ihm verschlossen war. Umsonst!
    Die Fälle acht, neun und zehn starben. Fünf neue Lähmungen, bereits im sekundären Stadium, wurden eingeliefert.
    Als Dr. Perthes sie untersuchte, konnte er nicht ahnen, daß die einliefernde Ärztin Frau Dr. Bender war. Er achtete einfach nicht darauf. Er las die bisherigen Anamnesen und verfluchte das Gleichmaß dieser satanischen Krankheit: Leichtes Fieber ohne Grund, Unruhe, eine Art von Erkältung, Schlaflosigkeit … Und plötzlich das Versagen der Nerven – die unheilbare Lähmung der Beine und –
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