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Wir sind doch Schwestern

Wir sind doch Schwestern

Titel: Wir sind doch Schwestern
Autoren: Anne Gesthuysen
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ausgebucht, denn das nahe gelegene Xanten galt als Touristenattraktion und Katty rühmte sich, das beste Frühstück weit und breit zu machen. Es gab Eier und Speck, außerdem das leckerste Weißbrot, das man am unteren Niederrhein finden konnte. Abends saß sie in der Regel noch lange mit ihren Gästen zusammen, und die mochten nicht nur Kattys Geschichten, sondern auch die familiäre Atmosphäre. Seit ihrem Achtzigsten hatte Katty das Pensionsgeschäft allerdings deutlich eingeschränkt. Im Grunde kamen nur noch die alten Stammgäste. Einige von ihnen, wie Piet, der Belgier, waren über die Jahre zu Freunden geworden. Erwürde im Laufe der Woche zur Feier anreisen. »Isch liebe euch lustige alte Mädche«, sagte Piet immer in seinem deutsch-flämischen Singsang. Piet war um die fünfzig, ganz genau wusste das keiner, hatte oben schütteres und hinten viel zu langes Haar. Er lief am liebsten in Lederhose und weißem Hemd herum und trank zu viel. Nichts in seinem Gesicht passte zueinander, die Augen standen zu eng beieinander, die Nase war zu groß und der Mund schief. Dazu hatte er Segelohren, an denen man nicht einmal aus Höflichkeit vorbeigucken konnte. Aber, und das zählte, er war ein treuer Gast und hatte das Herz am rechten Fleck. Und so wollte er es sich nicht nehmen lassen, Gertrud zum Hundertsten das zu schenken, was er für das Beste an sich hielt: seine Stimme. Piet war Alleinunterhalter, er und sein Tastofon brachten Säle zum Kochen, behauptete er jedenfalls. Und als er Katty mit sich vor Begeisterung überschlagender Stimme von seinem Geschenk erzählte, hatte sie es nicht übers Herz gebracht, ihn abzuwimmeln. Das Problem würde man später lösen, dachte sie, während sie Paulas Koffer ins Haus trug. Außerdem gehört Piet fast zur Familie, da wird Gertrud wohl mal ein Auge zudrücken können, redete sie sich ein und ahnte doch, dass Piets Musik mit Gertruds Musikgeschmack nicht das Geringste zu tun hatte.
    Der Tellemannshof war, so lange Katty sich erinnern konnte, immer ein offenes Haus gewesen. Diese Tradition hatte sie auch nach Heinrichs Tod beibehalten. Sie liebte es, bis tief in die Nacht zu diskutieren, vor allem mit den Bauern aus der Nachbarschaft über Landwirtschaft oder Politik. Wenn sie Nichten und Neffen zu Besuch hatte, konnte sie sich bis zum Kontrollverlust ereifern. An solchen Abenden gab es viel fettes Essen und ordentlich Schnaps, dann wurde lange geschlafen und am nächsten Morgen spät gefrühstückt. Trotz ihrer vierundachtzig Jahre konnte Katty immer noch gut mithalten, fand sie. »Ich kann die Bauern immer noch unter den Tisch trinken!« Das war ihr Standardspruch, wenn jemand sie fragte, wie es ihr gehe. Nur wenn Gertrud bei ihr war, und das war in letzter Zeit häufiger der Fall gewesen, war das alles nicht möglich. In ihrem Alter schlief sie schlecht, und wenn sie nachts aufstand und die Gesellschaft noch im völlig überhitzten Wohnzimmer vorfand, machte sie Katty Vorwürfe. Das sei schlechtes Benehmen, so etwas gehöre sich nicht. Die Gäste hatten dann ihrerseits ein schlechtes Gewissen, wer störte schon gerne eine Hundertjährige. Katty fürchtete sich davor, dass die Ruhe auf dem Hof ein Dauerzustand werden könnte, falls Gertrud bei ihr einzog. Aber das war eigentlich unumgänglich. Katty wollte dringend einen Moment mit Paula allein sein, um sich zu besprechen, und fragte daher:
    »Gertrud, machst du uns schon mal einen Kaffee? Dann wird er wenigstens schön stark. Ich helfe Paula schnell beim Auspacken, und danach setzen wir uns in den Garten.«
    »Kannst du für mich bitte noch einen Kessel mit Wasser auf den Herd stellen?«, rief Paula auf halber Treppe in die Küche hinunter. »Bei deinem Kaffee schlägt mein altes Herz Flickflack.«
    »Du als ehemalige Sportlehrerin solltest das doch eigentlich gut finden«, neckte Katty. »Komm, ich habe dir dein Zimmer schon hergerichtet.« Sie zog Paula hinein und schloss die Tür.
    »Es ist schon wieder etwas passiert. Wir müssen handeln.« Katty hoffte, dass Paula mit ihrem Humor bei Gertrud mehr Erfolg hätte. Ihr selbst fiel es schwer, die große Schwester von etwas zu überzeugen, was sie eigentlich beide nicht wollten und doch längst hätte sein müssen: Gertrud sollte ihre kleine Wohnung in Xanten aufgeben, die Unfälle häuften sich.
    »Diesmal ist sie gestürzt. Und sie kann sich nicht erinnern, was passiert ist.«
    »Hat sie sich etwas getan?«

    »Nein, aber Doktor Duscher sagt, sie muss einen Schutzengel
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