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Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo

Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo

Titel: Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo
Autoren: Christiane F.
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Großvater noch unheimlich Kohle gehabt. Ihm gehörte in Ostdeutschland sogar eine Druckerei und eine Zeitung, unter anderem. Nach dem Krieg war das in der DDR alles enteignet worden. Nun flippte mein Vater aus, wenn er glaubte, ich würde in der Schule was nicht schaffen.
    Da gab es Abende, die ich noch in allen Einzelheiten erinnere. Einmal sollte ich ins Rechenheft Häuser malen. Die sollten sechs Kästchen breit und vier Kästchen hoch sein. Ich hatte ein Haus schon fertig und wusste genau, wie es ging, als mein Vater sich plötzlich neben mich setzte. Er fragte, von wo bis wo das nächste Häuschen gezeichnet werden müsse. Vor lauter Angst zählte ich die Kästchen nicht mehr, sondern fing an zu raten. Immer, wenn ich auf ein falsches Kästchen zeigte, bekam ich eine geklebt. Als ich nur noch heulte und überhaupt keine Antworten mehr geben konnte, da ging er zum Gummibaum. Ich wusste schon, was das bedeutete. Er zog den Bambusstock, der den Gummibaum hielt, aus dem Blumentopf. Dann drosch er mit dem Bambusstock auf meinen Hintern, bis man buchstäblich die Haut abziehen konnte.
    Meine Angst fing schon beim Essen an. Wenn ich kleckerte, hatte ich ein Ding weg. Wenn ich etwas umstieß, versohlte er mir den Hintern. Ich wagte kaum noch, mein Milchglas zu berühren. Vor lauter Angst passierte mir dann bei fast jedem Essen irgendein Unglück.
    Abends fragte ich meinen Vater immer ganz lieb, ob er nicht wegginge. Er ging ziemlich oft weg und wir drei Frauen atmeten dann erst einmal tief durch. Diese Abende waren herrlich friedlich. Wenn er dann allerdings in der Nacht nach Hause kam, konnte es wieder ein Unglück geben. Er hatte meistens etwas getrunken. Irgendeine Kleinigkeit dann und er rastete total aus. Es konnten Spielsachen oder Kleidungsstücke sein, die unordentlich rumlagen. Mein Vater sagte immer, Ordnung sei das Wichtigste im Leben. Und wenn er nachts Unordnung sah, dann zerrte er mich aus dem Bett und schlug mich. Meine kleine Schwester bekam anschließend auch noch etwas ab. Dann warf mein Vater unsere Sachen auf den Fußboden und befahl, in fünf Minuten wieder alles ordentlich einzuräumen. Das schafften wir meistens nicht und bekamen noch mal Kloppe.
    Meine Mutter stand dabei meistens weinend in der Tür. Sie wagte selten, uns zu verteidigen, weil er dann auch sie schlug. Nur Ajax, meine Dogge, sprang oft dazwischen. Sie winselte ganz hoch und hatte sehr traurige Augen, wenn in der Familie geschlagen wurde. Sie brachte meinen Vater am ehesten zur Vernunft, denn er liebte ja Hunde wie wir alle. Er hatte Ajax mal angeschrien, aber nie geschlagen.
    Trotzdem liebte und achtete ich meinen Vater irgendwie. Ich dachte, er sei anderen Vätern haushoch überlegen. Aber vor allem hatte ich Angst vor ihm. Dabei fand ich es ziemlich normal, dass er so oft um sich schlug. Bei anderen Kindern in der Gropiusstadt war es zu Hause nicht anders. Die hatten sogar manchmal richtige Veilchen im Gesicht und ihre Mütter auch. Es gab Väter, die lagen betrunken auf der Straße oder auf dem Spielplatz rum. So schlimm betrank sich mein Vater nie. Und es passierte in unserer Straße auch, dass Möbelstücke aus den Hochhäusern auf die Straße flogen, Frauen um Hilfe schrien und die Polizei kam. So schlimm war es bei uns also nicht.
    Mein Vater machte meine Mutter ständig an, sie gäbe zu viel Geld aus. Dabei verdiente sie ja das Geld. Sie sagte ihm dann manchmal auch, das meiste ginge für seine Sauftouren, seine Frauen und das Auto drauf. Dann wurde der Krach handgreiflich.
    Das Auto, der Porsche, war wohl das, was mein Vater am meisten liebte. Er wienerte ihn fast jeden Tag, wenn er nicht gerade in der Werkstatt stand. Einen zweiten Porsche gab es wohl nicht in der Gropiusstadt. Jedenfalls bestimmt keinen Arbeitslosen mit Porsche.
    Ich hatte natürlich damals keine Ahnung, was mit meinem Vater los war, warum er ständig regelrecht ausrastete. Mir dämmerte es erst später, als ich mich auch mit meiner Mutter häufiger über meinen Vater unterhielt. Allmählich habe ich einiges durchschaut. Er packte es einfach nicht. Er wollte immer wieder hoch hinaus und fiel jedes Mal auf den Arsch. Sein Vater verachtete ihn deshalb. Opa hatte schon meine Mutter vor der Ehe mit dem Taugenichts gewarnt. Mein Opa hatte eben immer große Pläne mit meinem Vater gehabt. Die Familie sollte wieder so toll dastehen wie früher, bevor ihr in der DDR der ganze Besitz enteignet wurde.
    Wenn er meine Mutter nicht getroffen hätte, wäre er
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