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Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo

Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo

Titel: Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo
Autoren: Christiane F.
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dass die mich erkannt hatten. Ich zog zu Hause sofort meine Klamotten aus und wischte mir die Schminke aus dem Gesicht. Meine Pfennigabsatzstiefel zog ich nicht wieder an. Von dem Tag an versuchte ich so auszusehen wie die Mädchen in meiner Klasse.
    Aber ich war dann doch im Club immer häufiger mit den Leuten zusammen, die haschten und Trips schmissen. Ich habe mal eine Pfeife mitgeraucht und mich auch mal davor gedrückt. Ich kam da in eine astreine Clique rein. Die meisten in der Clique waren Lehrlinge. Sie kamen aus den anliegenden Dörfern. Sie hatten alle eine ganze Menge auf dem Kasten. Sie waren nicht so total abgestumpft wie die meisten in der Hauptschule. Sie machten sich echt Gedanken. Es brachte mir was, mit ihnen zu reden. Vor allem aber gab es in dieser Clique die ganze Brutalität nicht. Alle Aggressionen blieben draußen. Es war total friedlich.
    Ich habe mal ganz dumm gefragt, warum das alles bloß nicht ohne Törnen gehe. Und da haben sie gesagt, das sei echt eine dämliche Frage. Wie man denn abschalten solle von dem ganzen Scheiß am Tage?
    Bis auf einen Typ waren alle wahnsinnig frustriert in ihrem Job. Der eine war in der Gewerkschaft und Jugendvertrauensmann in seinem Betrieb. Der sah einen Sinn in dem, was er tagsüber tat. Er setzte sich für die anderen Jugendlichen im Betrieb ein, und das gab ihm eine Bestätigung. Er war auch der Meinung, dass man die Gesellschaft ändern könne. Er brauchte oft gar keinen Joint, um gut draufzukommen, und trank dann nur ein paar Schluck Rotwein.
    Die anderen sahen überhaupt keinen Sinn in dem, was sie taten. Sie redeten ständig davon, die Lehre zu schmeißen. Sie wussten nur nicht, was sie danach tun sollten. Sie kamen voller Frust und Aggressionen von ihrer Arbeit. Und wenn wir dann zusammensaßen, dann fing einer an, vom Ärger mit dem Meister oder so zu erzählen, und dann sagte ein anderer: »Kannst du nicht mal aufhören mit dem ganzen Feeling von der Arbeit.« Dann ging eine Pfeife rum und danach war für sie erst echt Feierabend.
    Ich war noch besser dran als sie. Mir machte die Schule manchmal sogar Spaß. Andererseits ging es mir wie ihnen. Ich wusste auch nicht recht, wozu das ganze Lernen und der Stress in der Schule gut waren, seit mir klar wurde, dass ich weder Abitur noch Realschule machen konnte. Und ich merkte, dass ich als ehemalige Süchtige auch mit einem noch so guten Hauptschulabschluss keinen Job finden würde, auf den ich Bock hätte.
    Den ganz guten Hauptschulabschluß kriegte ich. Aber keine Lehrstelle. Nur einen Aushilfsjob nach irgendeinem Gesetz, das arbeitslose Jugendliche von der Straße schaffen soll. Ich habe fast ein Jahr nicht mehr gedrückt. Aber ich weiß natürlich, dass es ein paar Jahre dauert, bis man echt clean ist. Im Moment gibt es keine großen Probleme.
    Wenn wir abends mit unserer Clique zusammensitzen und Rotwein trinken und die Pfeife ein paar Mal rumgegangen ist, dann sind diese ganzen alltäglichen Probleme weg. Wir reden über Bücher, die wir gelesen haben. Wir beschäftigen uns mit schwarzer Magie und Parapsychologie und mit dem Buddhismus. Wir suchen einfach nach Leuten, die auf einem guten Trip sind, um von ihnen etwas zu lernen. Weil wir selber auf einem ziemlich miesen Trip waren.
    Ein Mädchen aus der Clique ist Krankenschwesternschülerin, und die hat dann auch Pillen mit in die Clique gebracht. Ich habe eine Zeit lang wieder mit Valium getörnt. Trips rühre ich nicht an, weil ich Angst habe, auf Horror zu kommen. Die anderen sind meistens noch ganz gut drauf auf LSD.
    In unserer Kleinstadt gibt es keine Szene für harte Drogen. Wer harte Drogen nimmt, flippt meistens in Hamburg rum. Es gibt auch keinen Dealer am Ort, der H verkauft. Man wird also nicht so leicht zum H verführt wie in Berlin oder Hamburg oder auch Norderstedt.
    Wenn man aber H haben will, kriegt man es natürlich ohne Schwierigkeiten. Es gibt Typen mit den Verbindungen. Es kommen auch manchmal Dealer vorbei, die haben einen richtigen Drogen-Bauchladen. Wenn man so einen Typen fragt, ob er was zum Törnen habe, sagt der: Was willst du haben? Valium, Valeron, Shit, Trips, Koks oder H?
    In unserer Clique glauben alle, die Sache mit den Drogen unter Kontrolle zu haben. Es ist jedenfalls einiges anders als vor drei, vier Jahren in der Gropiusstadt.
    Es ist eine andere Art von Freiheit, auf die unsere Clique hier mit Drogen kommt. Wir brauchen kein Sound, um uns bei urisch lauter Musik betäuben zu lassen. Für die Leute aus dieser
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