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Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo

Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo

Titel: Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo
Autoren: Christiane F.
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ganz kleine Brötchen. Vorher hatte ich mir auch unter dem Einfluss meines Freundes vorgenommen, nach einem guten Hauptschulabschluss zu versuchen, auf eine Gesamtschule zu kommen. Obwohl ich wusste, dass das unheimlich kompliziert für einen Hauptschüler ist. Dann wollte ich nichts mehr von Schule hören. Ich war sicher, dass ich das nicht schaffen würde. Die psychologischen Eignungstests, die Sondererlaubnis vom Schulrat und was man noch alles brauchte, wenn man nicht Hauptschüler bleiben wollte. Und ich wusste, dass meine Akte aus Berlin schon überall sein würde, wo ich hinkam.
    Ich hatte meinen sehr vernünftigen Freund, ich bekam auch allmählich Kontakt zu den Jugendlichen aus dem Dorf, die mir irgendwie in ihrer Art sehr gefielen. Die waren sehr anders als ich. Aber sie waren jedenfalls meistens noch besser drauf als die aus der Kleinstadt. Es gab eine richtige Gemeinschaft unter den Jugendlichen im Dorf. Sie hatten sich sogar einen eigenen kleinen Club eingerichtet. Da gab es keine Aufreißertypen. Da hatte alles noch irgendwie eine sehr altmodische Ordnung, auch wenn die Jungs mal zu viel tranken. Und die meisten akzeptierten mich, obwohl ich ganz anders war.
    Ich dachte eine Zeit lang, ich könne so wie die werden oder so wie mein Freund. Aber ich hielt diesen Trip nicht lange durch. Mit meinem Freund war es aus, als er endlich mit mir schlafen wollte. Das hätte ich nie gebracht. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, mit irgendjemand anderem zu schlafen als mit Detlef. Ich liebte also Detlef noch immer. Ich dachte viel an ihn, obwohl ich nicht an ihn denken wollte. Manchmal schrieb ich ihm Briefe, die ich an seinen ehemaligen Stammfreier Rolf schicken wollte, bei dem er zuletzt gewohnt hatte. Aber ich war immer vernünftig genug, die Briefe nicht abzuschicken.
    Dann hörte ich, dass er wieder im Knast saß. Stella war auch im Knast.
    Ich dachte viel an Detlef und Stella und es gab bei uns in der Umgebung Jugendliche, zu denen ich mich mehr hingezogen fühlte als zu den Gleichaltrigen aus dem Dorf. Mit diesen Jugendlichen konnte ich besser reden, freier über meine Probleme quatschen. Bei denen war ich anerkannt und musste keine Angst haben, dass sie hinter meine Vergangenheit kämen. Die sahen die Welt mehr wie ich. Da musste ich mich nicht verstellen und anpassen. Mit denen kam ich gefühlsmäßig auf die gleiche Wellenlänge. Trotzdem wehrte ich mich zunächst dagegen, mit ihnen allzu engen Kontakt zu haben. Denn sie experimentierten alle mit Rauschgift.
    Meine Mutter, meine Tante und ich, wir alle hatten gemeint, ich wäre in einen Winkel Deutschlands gekommen, wo es kein Rauschgift gibt. Jedenfalls bestimmt keine harten Drogen. Wenn in den Zeitungen etwas über Heroin stand, dann wär ja immer auch nur von Berlin die Rede oder mal von Frankfurt. Ich habe eben auch gedacht: Du bist da die einzige Ex-Fixerbraut weit und breit.
    Ich wusste es schon nach einer der ersten Einkaufsfahrten mit meiner Tante besser. Wir fuhren Anfang 1978 zum Einkaufen nach Norderstedt, so eine Neubauschlafstadt in der Nähe von Hamburg. Ich habe wie immer auf den ersten Autofahrten in meiner neuen Umgebung Typen beobachtet, die etwas ausgefreakt aussahen. Ich habe mir überlegt: Drücken die nun, haschen die oder sind es einfach nur Studenten. In Norderstedt sind wir in einen Schnellimbiss gegangen, um eine Currywurst zu essen. An einem Tisch saßen ein paar Kanaken. Zwei standen plötzlich auf und setzten sich an einen anderen Tisch. Ich weiß nicht, woher, aber ich hatte sofort das Gefühl, da läuft was mit H. Ich wusste irgendwie, wie sich Kanaken benehmen, wenn was mit H läuft. Ich drängte meine Tante, aus dem Laden rauszugehen, ohne ihr was von meinem Verdacht zu sagen.
    Hundert Meter weiter dann, vor einem Jeansladen, rannten wir dann voll rein in die H-Szene von Norderstedt. Ich habe natürlich sofort gepeilt, dass da Fixer rumhingen. Dann bildete ich mir zumindest ein, dass die alle mich ansahen. Dass die auch in mir gleich die Fixerbraut wiedererkannten. Ich flippte regelrecht aus. Ich hatte volle Panik. Ich fasste meine Tante am Arm und sagte ihr, dass ich sofort wegmüsse. Sie checkte auch irgendwas und meinte: »Wieso denn, du hast doch damit überhaupt nichts mehr zu tun.« Ich sagte: »Hör auf. Ich kann das noch nicht konfrontieren.«
    Das war also schon die Zeit, als ich nicht mehr ans Abhauen dachte. Als ich echt meinte, ich würde nie wieder etwas mit Heroin zu tun haben. Mich hatte es geschockt,
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