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Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo

Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo

Titel: Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo
Autoren: Christiane F.
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manchmal jeder für sich. Und wenn wir es hinterher wieder kaputt gemacht haben, dann waren wir alle damit einverstanden und hatten zusammen unseren Spaß. Es gab auch keinen Anführer bei uns im Dorf. Jeder konnte Vorschläge machen, was gespielt werden sollte. Dann wurde so lange rumkrakeelt, bis sich ein Vorschlag durchgesetzt hatte. Es war gar nichts dabei, wenn die Älteren mal den Kleinen nachgaben. Es war eine echte Kinder-Demokratie.
    In Gropiusstadt, in unserem Block, war ein Junge der Boss. Er war der Stärkste und hatte die schönste Wasserpistole. Wir spielten oft Räuberhauptmann. Der Junge war natürlich der Räuberhauptmann. Und die wichtigste Spielregel war, dass wir alles zu tun hatten, was er befahl.
    Sonst spielten wir mehr gegeneinander als miteinander. Es ging eigentlich immer darum, den anderen irgendwie zu ärgern. Zum Beispiel, ihm ein neues Spielzeug wegzunehmen und kaputt zu machen. Das ganze Spiel war, den anderen fertigzumachen und für sich selbst Vorteile herauszuschinden, Macht zu erobern und Macht zu zeigen.
    Die Schwächsten kriegten die meisten Prügel. Meine kleine Schwester war nicht sehr robust und ein bisschen ängstlich. Sie wurde ständig vertrimmt und ich konnte ihr nicht helfen.
    Ich kam zur Schule. Ich hatte mich auf die Schule gefreut. Meine Eltern hatten mir gesagt, dass ich mich da immer gut benehmen müsse und zu tun hätte, was der Lehrer sagt. Ich fand das selbstverständlich. Auf dem Dorf hatten wir Kinder Respekt vor jedem Erwachsenen. Und ich glaube, ich freute mich, dass nun in der Schule ein Lehrer sein würde, dem auch die anderen Kinder gehorchen mussten.
    Aber es war ganz anders in der Schule. Schon nach ein paar Tagen liefen Kinder während des Unterrichts in der Klasse herum und spielten Kriegen. Unsere Lehrerin war völlig hilflos. Sie schrie immer »hinsetzen«. Aber dann tobten die nur noch doller und die anderen lachten.
    Ich habe Tiere schon als ganz kleines Kind geliebt. In unserer Familie waren alle wahnsinnig tierlieb. Deshalb war ich stolz auf unsere Familie. Ich kannte keine Familie, die so tierlieb war. Und mir taten die Kinder leid, deren Eltern keine Tiere mochten und die auch keine Tiere geschenkt bekamen.
    Unsere Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung wurde mit der Zeit ein kleiner Zoo. Ich hatte später vier Mäuse, zwei Katzen, zwei Kaninchen, einen Wellensittich und Ajax, unsere braune Dogge, die wir schon nach Berlin mitgebracht hatten.
    Ajax schlief immer neben meinem Bett. Ich ließ beim Einschlafen einen Arm aus dem Bett baumeln, um ihn zu spüren.
    Ich fand andere Kinder, die auch Hunde hatten. Mit denen verstand ich mich ganz gut. Ich entdeckte, dass außerhalb von Gropiusstadt, in Rudow, noch richtige Reste von Natur waren. Da fuhren wir dann mit unseren Hunden hin. Wir spielten auf den alten Müllkippen in Rudow, die mit Erde zugeschüttet worden waren. Unsere Hunde spielten immer mit. »Spürhund« war unser Lieblingsspiel. Einer versteckte sich, während sein Hund festgehalten wurde. Dann musste der Hund ihn suchen. Mein Ajax hatte die beste Nase.
    Die anderen Tiere nahm ich manchmal mit in die Sandkiste und sogar in die Schule. Unsere Lehrerin benutzte sie als Anschauungsmaterial im Biologieunterricht. Einige Lehrer erlaubten auch, dass Ajax während des Unterrichts bei mir war. Er störte nie. Bis zum Pausenklingeln lag er bewegungslos neben meinem Platz.
    Ich wäre ganz glücklich mit meinen Tieren gewesen, wenn es mit meinem Vater nicht immer schlimmer geworden wäre. Während meine Mutter arbeitete, saß er zu Hause. Mit der Ehevermittlung war es ja nichts geworden. Nun wartete mein Vater auf einen anderen Job, der ihm gefiel. Er saß auf dem abgeschabten Sofa und wartete. Und seine irrsinnigen Wutausbrüche wurden immer häufiger.
    Schularbeiten machte meine Mutter mit mir, wenn sie von der Arbeit kam. Ich hatte eine Zeit lang Schwierigkeiten, die Buchstaben H und K auseinanderzuhalten. Meine Mutter erklärte mir das eines Abends mit einer Affengeduld. Ich konnte aber kaum zuhören, weil ich merkte, wie mein Vater immer wütender wurde. Ich wusste immer, wann es gleich passierte: Er holte den Handfeger aus der Küche und drosch auf mir rum. Dann sollte ich ihm den Unterschied von H und K erklären. Ich schnallte natürlich überhaupt nichts mehr, bekam noch einmal den Arsch voll und musste ins Bett.
    Das war seine Art, mit mir Schularbeiten zu machen. Er wollte, dass ich tüchtig bin und was Besseres werde. Schließlich hatte sein
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