Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo

Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo

Titel: Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo
Autoren: Christiane F.
Vom Netzwerk:
uns im Dorfgasthaus hat es ihn dann erwischt. Sie haben zwei Stühle auf ihm zertrümmert und ihm dann eine abgebrochene Flasche in den Bauch gerammt. Er ist im Krankenhaus gerade noch durchgekommen.
    Am stärksten habe ich die Brutalität in den Beziehungen zwischen Jungen und Mädchen empfunden. Da quatschen alle über Emanzipation. Aber ich glaube fast, dass die Jungen die Mädchen noch nie so brutal behandelt haben wie heute. Da kommt irgendwie der ganze Frust der Typen raus. Die wollen Macht haben und Erfolg und das bekommen sie sonst nicht, und da holen sie es sich bei den Weibern.
    Ich bekam einen richtigen Horror vor den meisten Typen in diesen Discos. Weil ich vielleicht ein bisschen anders aussah als die anderen, wurde ich ständig von denen angemacht. Und dieses Nachgepfeife und dieses »Na Alte, wie ist es mit uns«, das hat mich irgendwie mehr angenervt als das Getue der Freier auf dem Autostrich Kurfürstenstraße. Wenn die Freier einen in Berlin an den Wagen winkten, dann lächelten sie wenigstens noch. Das hatten die starken Typen da gar nicht nötig. Meinten sie. Ich glaube, die meisten Freier waren noch freundlicher und sogar zärtlicher als die jungschen Aufreißertypen in den Discos mit ihren Bräuten. Diese Typen wollten bumsen ohne eine Freundlichkeit, ohne die geringste Zärtlichkeit und natürlich ohne wenigstens zu bezahlen.
    Mein Horror gegen Jungs ging dann so weit, dass mich überhaupt niemand mehr anrühren durfte. Ich fand schon diese ganzen Knutschregeln, die es da gab, echt pervers. Dass sich ein Junge also automatisch das Recht rausnahm, spätestens wenn er den zweiten Abend mit einem Mädchen ging, mit dem Knutschen anzufangen. Und die Mädchen machten mit, auch wenn sie nicht den geringsten Bock darauf hatten, mit dem Typen zu knutschen. Einfach, weil das die Regel war. Und weil sie Angst hatten, dass der Typ nicht mehr mit ihnen gehen würde und die Jungs dann rumquatschten, sie sei eine frigide Zicke.
    Ich habe das also nicht gebracht. Ich wollte das nicht bringen. Auch wenn ich einen Jungen sehr gernhatte und bin dann mit ihm gegangen, habe ich gleich erst mal klargestellt: »Versuch nie, mich aufzureißen. Fasse mich nicht an. Wenn was läuft, dann mach ich den Anfang.« In dem halben Jahr, das ich jetzt aus Berlin weg bin, habe ich nie den Anfang gemacht. Noch war jede Freundschaft zu Ende, wenn der Junge versuchte, mit mir zu schlafen.
    Da spielte natürlich auch noch eine Rechnung eine Rolle, die ich wegen meiner Vergangenheit zu bezahlen hatte. Auch wenn ich mir einbildete, dass das Anschaffen eigentlich nie richtig was mit mir zu tun hatte, dass das nur eine unumgängliche Begleiterscheinung der Heroin-Abhängigkeit war, wurde nun mein Verhältnis zu Jungs dadurch mitbestimmt. Wie die Typen sich oft verhielten, verstärkte bei mir nur den Eindruck, dass mich wieder Kerle ausnutzen wollten.
    Ich versuchte den Mädchen in meiner Klasse irgendetwas von den Erfahrungen, die ich mit Männern gemacht hatte, mitzuteilen. Ohne dass ich ihnen genau sagen konnte, welche Erfahrungen ich mit Typen hatte. Aber ich kam nie mit meiner Message durch. Ich war zwar so eine Art Briefkastentante in meiner Klasse und musste mir alle Probleme mit Jungs anhören und Ratschläge geben, weil die checkten, dass ich irgendwie mehr Erfahrungen hatte. Aber sie schnallten nie, was ich ihnen wirklich zu sagen versuchte.
    Die meisten Mädchen lebten nur für die Typen. Sie akzeptierten voll die ganze Brutalität in den Beziehungen. Wenn etwa ein Typ seine Braut sitzenließ und mit einem anderen Mädchen ging, dann waren sie nicht etwa sauer auf den Typen, sondern auf seine neue Freundin. Die war dann eine alte Sau, die letzte Hure und ich weiß nicht noch was. Und die stärksten Typen waren für viele die brutalsten Typen.
    Ich begriff das erst ganz, als wir eine Klassenreise machten. Wir fuhren in die Pfalz. Gleich in der Nähe unserer Unterkunft war eine Diskothek. Die meisten Mädchen mussten da schon am ersten Abend hin. Als sie wiederkamen, schwärmten sie von coolen Typen mit geilen Böcken, also Motorrädern. Typen mit geilen Böcken waren für sie das Größte.
    Ich habe mir die Disco dann auch mal angesehen und ziemlich schnell gecheckt, was da lief. Da kamen die Typen aus der Umgebung mit ihren Mopeds, Motorrädern und Autos, um Schülerinnen aufzureißen, die auf Klassenreise waren. Ich habe also versucht, das den Mädchen aus meiner Klasse klarzumachen, dass sie in dieser Disco nur von Typen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher