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Wir Kinder der Kriegskinder

Wir Kinder der Kriegskinder

Titel: Wir Kinder der Kriegskinder
Autoren: Anne-Ev Ustorf
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biochemische Prozesse im Gehirn, die für eine Reihe psychischer Probleme mitverantwortlich sind, nicht angeboren sind, sondern ihre Ursache in der unzureichenden Gefühlsregulation des Kindeshaben. Da die rechte Hirnhälfte aber lebenslang von den frühen Bindungserfahrungen geprägt ist, ist es wahrscheinlich, dass viele der gerade in den letzten Kriegsjahren geborenen Kinder mit psychischen oder psychosomatischen Störungen aus dieser Zeit hervorgegangen sind. Und das hat viele von ihnen für ihr weiteres Leben stark geprägt – insbesondere in Bezug auf ihre Beziehungsfähigkeit und Elternschaft.

    Die Siegener Psychologieprofessorin Insa Fooken glaubt, dass viele Kriegskinder vor allem hinsichtlich ihrer Beziehungsfähigkeit an den Folgen ihrer frühen Erfahrungen zu leiden haben. In deren Partnerschaften sei häufig die Fähigkeit zur Intimität und zur Formulierung erwachsener Beziehungsansprüche eingeschränkt, erklärt die Psychologin. Fooken untersuchte in einer Studie den so genannten „späten zweiten Scheidungsgipfel“, den Trend zur Scheidung nach langjährigen Ehen, den man seit Beginn der 1990er in Deutschland beobachten kann. Sie konzentrierte sich in ihrer Untersuchung auf die um 1930, um 1940 und um 1950 Geborenen und führte mit insgesamt 125 Personen mehrstündige Interviews. Im Zuge dieser Forschung fielen ihr diverse „Parallelen“ bei der um 1940 geborenen Personengruppe auf. Auf den ersten Blick war zwar nichts ungewöhnlich: Die Paare hatten in der Regel früh geheiratet, ihre Beziehungen waren überwiegend auf lebenslange Dauer nach dem klassischen Modell „Mann arbeitet, Frau hütet Heim und Herd“ konzipiert. Partnerwahl und Familiengründung fanden vorrangig in den 1950er und 1960er Jahren statt – eine noch vom gesellschaftlichen Zusammenbruch der Kriegsjahre geprägte Zeit, in der „häufig die Sehnsucht nach Wiederherstellung vorgeblich heiler und stabiler Familien- und Beziehungswelten an die junge Generation (also die „Kriegskinder“) delegiert wurde“, erklärt Fooken (Fooken: Späte Scheidungen als Kriegsfolge? Kriegskindheiten und Beziehungsverläufe). Im Schnitt waren die von Fooken untersuchten Paare 27 Jahre verheiratet, also lang genug, um bis zumAuszug der Kinder aus dem gemeinsamen Heim ein einigermaßen intaktes Familienleben gewährleisten zu können. Und dennoch scheiterten diese Ehen letztlich oft.
    Als Begründungen gaben die Befragten meist an, sie hätten sich von ihrem Partner entfremdet, seien desillusioniert oder es sei ihnen nicht gelungen, mit dem Partner über Probleme zu sprechen. Bemerkenswert fand Fooken jedoch, dass sich nur 38 Prozent der Befragten nach dem Ende der Ehe auch kritisch mit den eigenen Anteilen am Scheitern der Beziehung auseinandersetzte. Die meisten der Befragten behielten ihre anfänglichen Überzeugungen und Schuldzuweisungen gegenüber dem Partner noch Jahre nach Ende der Beziehung bei und zeigten sich nur begrenzt reflexionsfähig. Fooken glaubt, dass die untersuchten Kriegskinder noch im Bann ihrer früheren, sehr ambivalenten Bindungs- und Beziehungserfahrungen stehen, die sie oft kaum durchschauen. „Im Laufe ihrer frühen Sozialisierungen wurde ihnen ja häufig ‚verordnet‘, was sie (nicht) zu fühlen und (nicht) zu denken haben. So fällt es ihnen möglicherweise auch besonders schwer, die Ambivalenz der mit biographischen Erfahrungen und intimen Beziehungen verbundenen Emotionen zu tolerieren“, erklärt Fooken.
Die Folgen faschistischer Erziehung
    Nicht nur die belastenden Umstände der Kriegs- und Nachkriegszeit mögen auf die Generation der Kriegskinder gewirkt haben – auch die Erziehungsideale des Nationalsozialismus haben ihre Spuren hinterlassen. Hitler hatte früh propagiert, dass eine besondere Erziehung von Nöten wäre, um aus Kindern später unbeugsame Nationalsozialisten zu machen: „Meine Pädagogik ist hart. Das Schwache muss weggehämmert werden. In meinen Ordensburgen wird eine Jugend heranwachsen, vor der sich die Welt erschrecken wird. Es darf nichts Schwaches und Zärtliches an ihr sein.“ (Rauschnig: Gespräche mit Hitler). Bereits im Baby- und Kleinkindalter sollte diese Erziehung einsetzen: „Der Staat hat seine Erziehungsarbeit so einzuteilen, dass die jungen Körper schon in ihrer frühesten Kindheit zweckentsprechend behandelt werden und die notwendige Stählung für das spätere Leben erhalten“, schrieb Hitler 1925 in Mein Kampf. „Diese Pflege- und Erziehungsarbeit hat schon
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