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Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind
Autoren: Hans Fallada
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glaubte auch nicht daran, daß es auf fünf Minuten nicht ankäme, sondern er lief, so rasch er konnte.
    Der schneidende Schmerz in seinem Herzen, daß sie ohne ihn hatte sein wollen, ließ nicht nach.
    Er läutete Sturm an der Kliniktür, antwortete dem Portier nicht auf seine Frage, sondern lief eilig die Steintreppe zu dem großen Warteraum hinauf. Dort saßen Menschen, eine Schwester ging vorüber, er lief auf sie zu: Wo liegt meine Frau? fragte er atemlos.
    Die Schwester sah ihn ferne und weiß an. Ich rufe die Oberin, sagte sie und verschwand.
    Er stand an einem Fenster, keuchend. Plötzlich merkte er, daß ihn alle Menschen ansahen. Er drehte den Kopf fort und wischte sich das Gesicht ab. Wo blieb dieses verfluchte Weib, diese Oberin? Sollte er stehen hier und verrecken vor Angst? Er riß die Uhr aus der Tasche, er starrte auf das Zifferblatt. Jetzt warte ich noch drei Minuten, und dann fange ich an zu schreien!
    Er sah auf die Zeiger, aber sofort vergaß er wieder, was er wollte, und sah suchend durch den Raum auf die Türen. |590| Dann sah er wieder auf die Uhr: wie lange stand er schon hier – es mußte eine Ewigkeit sein.
    Eine Tür klappte leise, und Christiane kam herein.
    Er starrte sie an, als träumte er. Christiane, Tia, rief es in ihm. Ich bin nicht zu spät gekommen.
    Sie trug den schwarzen Kimono mit den silbernen Reihern vom Morgen. Sie hatte die schwarzen Hausschuhe mit dem Daunenrand an, nur ihre Haare waren loser als sonst, und die Strümpfe warfen etwas Falten, als trüge sie keine Strumpfbänder.
    Er sah alles. Er sah alles.
    Sie kam mit einem stillen, einfachen Lächeln auf ihn zu. Sie hängte sich bei ihm ein, sie führte ihn durch den Warteraum auf einen langen, weißen Gang mit vielen Türen.
    Sicher bist du schrecklich böse, mein Freund, aber ich habe dich nicht versetzen wollen. Nur plötzlich kamen die Wehen so überraschend stark, daß ich Angst kriegte, es könnte mich in der Pension überraschen.
    Und jetzt? fragte er atemlos. Tia, und jetzt?
    Alles in Ordnung, sagte sie. Es kann noch eine ganze Weile dauern.
    Die böse Oberin kam den Gang entlang. Nun, sind Sie jetzt beruhigt? fragte sie. Haben wir Ihre Frau noch nicht umgebracht? – Er hat Schwester Hilde so angeschrien, sagte sie erklärend zu Christiane, daß sie gedacht hat, er bringt sie um.
    Die beiden Frauen schwiegen einen Augenblick, auch Gäntschow schwieg. Alles, was er befürchtet hatte, war plötzlich zusammengefallen. Alles ging auf eine ganz einfache, natürliche Art vor sich. Er war ein Narr gewesen, so die Nerven zu verlieren!
    Die Oberin sagte es. Wenn Sie sich jetzt zusammennehmen und vernünftig sein wollen, können Sie hier mit Ihrer Frau weiter auf dem Gang spazierengehen. Aber nur dann. – Sie sah ihn prüfend an. Wenn es Ihnen aber zuviel ist, können Sie mich auch anrufen. Meinethalben alle zehn Minuten anrufen.
    |591| Nein, ich bleibe hier.
    Es kann aber noch lange dauern, sagte die Oberin. Vor acht, neun wird es nichts.
    Sie ging weg.
    Ein ekelhaftes Weib, sagte Gäntschow ärgerlich. Eine Männerfeindin, wie sie im Buch steht.
    Findest du? fragte Christiane sehr überrascht. Ich finde sie sehr nett. Und sicher ist sie sehr tüchtig. Sie hat so sympathische Hände.
    Männer kann sie aber nicht ausstehen, entschied Gäntschow.
    Nun, lachte Christiane, die lernt sie ja auch eigentlich hier nicht von ihrer besten Seite kennen.
    Sie gingen auf und ab, ganz langsam und sachte den endlosen Gang auf und ab. Das Haus war totenstill. Hinter all den lackierten Türen kein Geräusch.
    Was gibt es hier alles für Kranke? fragte Gäntschow unruhig über diese Stille.
    Ich weiß nicht. Viele Operierte. Es sind eine ganze Menge Ärzte, die ihre Privatkranken hierher legen.
    Sie müssen doch Schmerzen haben! Und man hört nichts!
    Die Türen sind alle doppelt und schalldicht gepolstert, erklärte Christiane. Darum hört man nichts. Sie sind nicht so still, wie man denkt.
    Sie schwieg einen Augenblick. Sie überlegte etwas, dann sagte sie es: Freilich, mich hörst du vielleicht heute abend doch noch, Hannes, sagte sie sanft. Man soll sehr schreien. – Aber du mußt dir nichts dabei denken, setzte sie hastig hinzu. Es muß so sein. – Sie lächelte mit einem Anflug ihrer alten Ironie. Es ist ein rein mechanischer Vorgang.
    Wer erzählt dir solchen Blödsinn? sagte er empört. Du wirst ein Mittel kriegen und überhaupt keine Schmerzen haben und gar nicht schreien.
    Aber man muß Schmerzen haben, mein Freund, sagte
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