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Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind
Autoren: Hans Fallada
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meine Birne nie wieder gut, Papachen? fragt er.
    Gäntschow saß und rührte in seinem Grog. Wäre er seinem ersten Impuls gefolgt, so wäre er aufgesprungen und hinausgelaufen oder hätte den Fahrer angebrüllt. Aber er war nicht seinem ersten Impuls gefolgt. Er war still sitzen geblieben und dachte bei sich: Halte es aus, du mußt es aushalten.
    Hatte er sich nicht in den letzten Tagen manchmal den Kopf darüber zerbrochen, warum Christiane immer allein sein wollte und worüber sie ständig nachdachte. Hier hatte er ein Beispiel. Der Fahrer sagte es grade: Man weiß nie vorher, was dabei rauskommt. Ich habe bei meinem dritten auch nicht mehr getrunken als beim ersten und zweiten, aber nein, Wasserkopf! – Wasserkopf soll vom Trinken kommen. – Nun, bei den feinen Leuten kommt so was wohl nicht vor.
    Er sah Gäntschow abschätzend an, ob der auch zu den feinen Leuten gehörte.
    Ich verstehe es, lieber Herr, sagte er hastig, ich verstehe es, wenn man da wegfahren möchte. Ich find’s auch nicht feige. Schließlich fährt man ja doch nicht weg.
    Also fahren wir zurück, sagte Gäntschow und stand auf. Das Schuldgefühl war unerträglich stark geworden.
    Fahren Sie noch nicht, Herr, sagte der Chauffeur mahnend, man kommt als Vater immer noch zu früh. Ich muß das wissen. Ich habe drei. Immer bin ich zu früh gekommen.
    Gäntschow hatte sich wirklich wieder hingesetzt. Er war in einem seltsamen Zustand von Willenlosigkeit. Seine Bereitschaft, sich in alles zu fügen, überraschte ihn. Er war sogar damit einverstanden, daß nun der Chauffeur einen Grog ausgab.
    Es fällt schon dabei ab, sagte der beruhigend. Es ist ja eine schöne Fuhre. Sicher werden es zwanzig Mark.
    |588| Er sah seinen Fahrgast einen Augenblick in leiser Besorgnis an, beruhigte sich aber gleich wieder.
    Gäntschow grübelte darüber nach, warum Christiane, als sie sich heute morgen an ihn gelehnt hatte, »ach« geseufzt hatte – waren es nur die Schmerzen gewesen, oder war es noch etwas anderes gewesen? Der Gedanke kam ihm, den Fahrer zu fragen, wie seine Frau zu ihm bei der Geburt sei – aber er schämte sich. Dann dachte er an das ältere Fräulein in der Bar, er hätte sie gern hier gehabt. Er könnte nachher vielleicht versuchen, ihre Adresse zu erfahren. Sie würde keine schlechte Gesellschaft für solchen Tag sein. Aber dann erschrak er vor sich selbst. Brauche ich denn Gesellschaft? fragte er sich erschrocken.
    Er zwang sich, an den Hof zu denken. Das Problem mit der Eiweißfütterung der Kühe war noch nicht gelöst. Er hatte in diesen Tagen darüber nachdenken wollen – jetzt war Zeit! Aber der Hof verging wie ein Nichts, wie das unwichtigste Ding von der Welt, es zerging in Nebel und Traum.
    Die Uhr war halb zwölf. Er stand auf: Fahren wir.
    Auf der Treppe zur Pension war niemand, auf dem Gang war niemand, sein Zimmer war aufgeräumt und leer. Er stand einen Augenblick lauschend an der Verbindungstür, nichts rührte sich. Sein Herz ging in unruhigen Stößen. Sicher schlief sie – durfte er sie stören? Die Uhr war erst viertel eins. Die Hand auf der Türklinke, stand er lange da, schwankend zwischen Wunsch und Bescheidung.
    Dann fing auf dem Flur ein in all der Stille unerträgliches Summen, Sausen und Schnarren an. Er stürzte hinaus. Da stand das ältliche Mädchen und machte den Flur mit dem Staubsauger sauber.
    Wollen Sie hier mal nicht solchen Krach machen! brüllte er. Meine Frau schläft.
    Sie starrte ihn an.
    Die gnädige Frau ist schon seit einer Stunde in der Klinik.
    Er starrte sie wieder an. Seine Lippen fingen plötzlich an zu beben, ein schneidender Schmerz schnitt in sein Herz.
    |589| Aus dem Wege geräumt! Versetzt! dachte er. Und von Christiane!
    Aber jetzt war alles gleichgültig. Er lief in ihr Zimmer. Auch ihr Zimmer war schon aufgeräumt. Auf dem Tisch lag die wollige Häkelei, an der sie in den letzten Wochen stets gearbeitet. Er zwängte sie in seine Manteltasche und stürzte auf die Straße. Er lief nach rechts und nach links, aber kein Auto war zu sehen. Er blieb ratlos stehen, als sei nun alles verloren. Dann aber fiel ihm ein, daß ja gar nicht so weit zur Klinik zu gehen sei, und er fing an zu laufen.
    Jetzt kommt es auf fünf Minuten auch nicht mehr an, sagte er sich beruhigend, während er atemlos gegen das Schneetreiben anlief. Sicher ist alles schon fertig, wenn ich komme, und ich habe einen Sohn oder eine Tochter.
    Aber er glaubte nicht daran, daß er schon einen Sohn oder eine Tochter hätte. Er
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