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Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind
Autoren: Hans Fallada
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sie fuhr fort, den Mädchen eine Geschichte von ihres Vaters Hühnerhund Treff zu erzählen, die Gäntschow schon kannte. Die Mädchen hörten aufmerksam zu, lachten bereitwillig und taten überhaupt so, als ob nichts Ungewöhnliches vorliege. Aber auch ihnen merkte Gäntschow die etwas krampfige, fieberhaft erwartungsvolle Stimmung an, die ihn erfüllte.
    Nach einer Weile klopfte es an die Tür, und die Hebammenschwester kam herein.
    Nun, fängt es an? fragte sie. Wie häufig, Frau Wendland?
    Es kam Gäntschow seltsam vor, daß Christiane sich Frau Wendland nennen ließ, trotzdem es natürlich vollkommen richtig war, wie er sofort bei sich zugab.
    Er wurde der Schwester vorgestellt. Sie hatte ein energisches, etwas trockenes, aber nicht ungütiges Gesicht.
    Ja so, sagte sie rasch und sah ihn einen Augenblick prüfend an. Vielleicht warten Sie einen Augenblick nebenan? Ich komme dann sofort zu Ihnen.
    Er ging in seinem Zimmer hin und wider, er hörte Christiane rasch und lebhaft von etwas sprechen. Er trat ans Fenster und lehnte den Kopf gegen die Scheiben. Es schien ihm falsch von Christiane, daß sie der Schwester so ausführlich und lang etwas erzählte, er hätte das auch wissen müssen, gleichviel, was es war. Aber mit ihm hatte sie nur einige wenige Worte geredet.
    |583| Nach einer Weile trat die Hebamme ein. Es ist noch sehr früh, sagte sie eilig, es kann noch sehr lange dauern.
    Glauben Sie, Schwester … fing er hastig an.
    Nicht die geringsten Bedenken, sagte sie sofort. Alles so normal wie möglich. – Sie betrachtete ihn einen Augenblick und setzte hinzu: Und eine Frau, die entschlossen ist, alles so gut wie nur möglich zu machen. Das ist stets sehr viel wert.
    Es kam ihm seltsam vor, daß hier von Willen und Entschlossenheit geredet wurde. Er hatte an einen Naturvorgang gedacht, den man über sich ergehen lassen mußte. Nun gut, sie war also entschlossen.
    Wir fahren doch sofort in die Klinik? fragte er.
    Nicht doch, sagte die Schwester. Was wollen Sie da? Es kann noch sehr lange dauern.
    Sie unterbrach sich. Aus dem Nebenzimmer erklang ein schmerzliches Stöhnen. Die Schwester hatte den Kopf zur Tür gewandt und nickte zufrieden. Alles, wie’s sein muß, sagte sie. Ich würde Ihnen raten, ein bißchen spazierenzugehen. Drei, vier Stunden. Früher ist es bestimmt nichts.
    Aber hören Sie doch, Schwester, rief er aufgeregt, denn das Stöhnen war wieder und stärker erklungen.
    Männer taugen nicht zu so etwas, sagte die Schwester lächelnd. Es ist übrigens alles nach dem Wunsche von Frau Wendland. Guten Morgen.
    Sie gab ihm eine feste, energische Hand und ging fort. Einen Augenblick stand er da, verblüfft. Dann stürzte er ihr bis auf die Treppe nach: Aber Schwester, wollen Sie nicht wenigstens noch einmal nach Frau Wendland sehen?
    Nein, nein, sagte die Schwester, jetzt kann man gar nichts machen dabei.
    Und drei, vier Stufen tiefer: Frau Wendland weiß genau Bescheid.
    Und wieder etwas tiefer: Gehen Sie nur spazieren.
    Die Haustür fiel zu. Er haßte diese Berliner Kaltschnäuzigkeit. Nicht eine Spur von Gefühl, von Sympathie, da kann man nichts machen – und sie stöhnte oben.
    |584| Er lief wieder hinauf.
    Das Stöhnen war verstummt. Er klopfte behutsam an die Tür und trat ein. Christiane saß etwas fahl in einem Sessel, das Mädchen stand neben ihr und trocknete ihr die Stirn ab.
    Wie geht es dir, Tia? fragte er sacht.
    Sie sah ihn unter zusammengezogener Stirn an. Ich bitte dich, mein Freund, antwortete sie sehr hastig, geh jetzt drei, vier Stunden spazieren. Ich möchte allein sein.
    Und als sie etwas wie Protest in seiner Miene las, sagte sie gereizt, mit böser Stimme: Ich verspreche dir, du wirst zu dem Ereignis noch zur rechten Zeit kommen.
    So hatte sie noch nie zu ihm gesprochen. Er verbeugte sich und ging aus dem Zimmer. Er zog sich zum Ausgehen an, stand noch einmal lauschend an ihrer Tür, dann ging er seufzend auf die Straße.
    Es schneite. Ein schneidend scharfer Westwind stiebte mit starken Stößen den feinen Schnee durch die Straßen, häufte ihn in den Vorgärten, in den Hauseingängen auf und jagte ihn mit neuen, grimmigen Stößen in andere Vorgärten, andere Eingänge.
    Ungeduldig dagegen anlaufend, erreichte Gäntschow den Kurfürstendamm. Diese Prachtstraße sah an diesem Wintermorgen vollkommen trostlos, widersinniger denn je aus. Unentschlossen sah Gäntschow hin und her. Der Gedanke, drei, vier Stunden auf der Straße, in einem Lokal, einem Museum zubringen zu
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