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Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind
Autoren: Hans Fallada
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die Uhr. Es ist neun Minuten nach sieben. Er hat jetzt neun Minuten von dreihundert gewartet. Wohlan!
    Etwas später kommt Leben in das Haus, Mädchen in Schwarz, mit weißen Krausen im Haar und weißen Schürzen laufen mit Tabletts von Zimmer zu Zimmer. Das Abendessen wird verteilt. Er paßt genau auf, aber keines von den Mädchen geht in Christianes Zimmer. Sie bekommt also nichts mehr zu essen. Etwas wie ein Krampf packt ihn, die Verzweiflung schüttelt ihn, er stürmt den Gang auf und ab. Was ist das für ein Satz, den er da eben gedacht hat?! Sie bekommt nichts mehr zu essen … Ist es soweit? Ja, es ist soweit.
    Ein Mann in blaugestreifter Wärterkleidung kommt, ein Tischchen tragend. Er sieht Gäntschow an, als wollte er ihn etwas fragen. Und Gäntschow ist jetzt sehr bereit, selbst mit diesem unrasierten, düster aussehenden Pfleger ein Wort zu sprechen. Aber der Mann besinnt sich eines andern und stellt stumm das Tischchen an das Ende des Ganges. Er kommt wieder, und nun bringt er einen Korbsessel. Unerträglich langsam setzt er den Korbsessel an das Tischchen, rückt noch einmal daran herum, sieht prüfend die Aufstellung an und verschwindet.
    Gäntschow ist wütend, mit welcher Langsamkeit das alles geschieht. Ein Tisch und ein Stuhl werden hingestellt. Es ist gar nichts. Nichts wird damit geändert, aber unterdes ändert sich da drin hinter der weißen Tür rasend die Welt.
    |595| Die können Menschen quälen, denkt er, und ein paar Wortfetzen fallen ihm ein: Herzen rösten. Herzen langsam auf dem Rost braten. Auf dem Rost seiner Eitelkeit schmoren …
    Er lauscht wieder. Nichts.
    Eine wahnsinnige Erfindung, diese schalldichten Doppeltüren. Man kann dahinter sterben und vergehen. Niemand merkt etwas davon.
    Ein Mädchen mit weißer Krause kommt mit einem Tablett. Sie stellt es auf dem Sessel ab, deckt umständlich den Tisch, Gäntschow sieht ihr aufmerksam zu.
    Das Mädchen geht zu ihm hin. Sie sagt: Bitte sehr.
    Er sieht sie verständnislos an.
    Ihr Abendessen, sagt sie und lächelt ein wenig über seine Verwirrtheit.
    Erst jetzt begreift er, daß das alles für ihn geschehen ist. Es hängt mit der Geburt zusammen. Er sagt höflich: Danke schön, und geht gehorsam an den Tisch. Er setzt sich hin, es ist natürlich ausgeschlossen, daß er etwas essen kann. Aber er ißt. Dabei grübelt er. Ihm ist etwas eingefallen. Er denkt darüber nach, warum Christiane ihn eigentlich in der letzten Zeit fast nur »mein Freund« angeredet hat. Früher hat sie immer nur Hannes gesagt, nie »mein Freund«. Es geschieht ganz ohne Absicht, sie merkt es vielleicht gar nicht einmal, und das ist das schlimmste.
    Plötzlich denkt er bei sich: es steht nicht gut um uns. Wieso eigentlich?
    Und er grübelt weiter. Er hat sich bestimmt nicht verändert. Aber Christiane hat sich verändert. Sie ist fern und kühl geworden.
    Auch das hängt mit der Geburt zusammen, entscheidet er.
    Das Mädchen kommt wieder, um den Tisch abzuräumen. Mit Verwunderung sieht er, daß er alles aufgegessen hat. Es ist nichts übriggeblieben. Aber dann erklärt er es sich. Er hat ja heute weder gefrühstückt noch zu Mittag gegessen.
    Nun fing das Warten wieder an. Es war dreiviertel neun. |596| Eine Weile half er sich damit, daß er sich in Wut auf die Ärztin redete, die noch immer nicht gekommen war. Aber auch das verging. Er lehnte den Kopf gegen die Scheibe und seufzte. Wäre es doch erst vorbei, dachte er. Sein Herz schmerzte.
    Er hörte einen Schritt. Die Oberin ging langsam und bedächtig über den Gang und verschwand mit strengem, ernstem Gesicht im Zimmer von Christiane. Er erhaschte etwas von einem matten Lichtschimmer, einer hellen Gestalt – war das denn noch immer Christiane, die auf war? Das konnte nicht richtig sein. Er hatte das sichere Gefühl, daß alles falsch und verkehrt gemacht wurde in diesem Haus, in dem er nur Frauen zu sehen bekommen hatte. Er überlegte fieberhaft, ob er nicht einen Arzt anrufen sollte. Er kannte keinen. Aber jeder Mann war besser als diese Frauen.
    Er hatte sich grade dazu entschlossen und war im Weggehen, als die Oberin aus dem Zimmer kam. Sie ging auf ihn zu und sagte, wieder einmal – zum wievielten Male: Es ist alles in Ordnung. Nun geht es bald los. Frau Doktor ist in zehn Minuten hier.
    Er setzte grade an zu sprechen. Er wollte etwas fragen. Da hörte er einen Schrei. Dieser Schrei war so entsetzlich, wie er noch nie einen in seinem ganzen Leben gehört. Er durchbrach alle Polstertüren und gellte in
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