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Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind
Autoren: Hans Fallada
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Liebe gewartet. Ach, sie hatte nur »ach« gesagt. Nichts. Trockenheit. Dürre, Eigensucht.
    |599| Eine Hand rührte an seine Schulter. Die Ärztin stand vor ihm.
    Jetzt ist es vorbei, sagte sie. Selbst in all seinem Jammer sah er, wie das starke Kinn der großen Frau zitterte, daß ihr Gesicht gerötet, das Haar schweißnaß war.
    Er hatte keine andere Botschaft erwartet. Läßt sie mir noch etwas sagen? fragte er zögernd, mit einer letzten Hoffnung.
    Nein, nein, Sie müssen bedenken, wie erschöpft sie jetzt ist. Morgen vormittag vielleicht dürfen Sie zu ihr.
    Sie sah die Veränderung in seinem Gesicht. Oh, ich dumme Person, rief sie. Ich habe Sie erschreckt. Sie haben gedacht, sie sei tot?
    Er nickte. Er flüsterte: Und sie lebt?
    Ja, sagte die Ärztin. Eine ganz normale Geburt. Es ist sogar viel schneller gegangen, als ich dachte.
    Er schauderte. Aber dann überwog das Glück alles. Ein blendender Lichtschein war in diese fürchterliche, aussichtslose Nacht gefallen. Sie lebte. Es war noch nicht zu spät für ihn.
    Aber das Kind macht mir Sorge, sagte die Ärztin. Es will nicht atmen, wie es sollte. Wir haben es jetzt unter dem Lichtbogen und geben ihm Sauerstoff. Aber … Sie bewegte die Achseln. Ein kräftiges Kind, sagte sie. Ein Mädchen. Siebeneinhalbes Pfund. Ein Mädchen. Aber es will nicht atmen …
    Er stand da. Weiß es Christiane? flüsterte er.
    Ich weiß nicht, sagte die Ärztin. Sicher ahnt sie etwas …
    Nein, warten Sie hier, ich sage Ihnen dann sofort Bescheid.
    Sie schlürfte in ihren großen Gummischuhen mit müden, traurigen Schritten aus dem Zimmer.
    Und das Warten begann von neuem. Es war ein anderes Warten. Ja, manchmal schien alles hell zu sein. Es war nicht zu spät für ihn. Dann fiel es ihm wieder ein, solche Dinge konnten ihm jetzt einfallen: sein Mädchen wollte nicht atmen, seine Tochter wollte sterben.
    Da alles besser geworden war, da er endlich begriffen hatte, |600| wo er gesündigt, da er wiedergutmachen konnte mit einem ganzen, ihr geweihten Leben – warum kam nun das?
    Es schien so sinnlos zu sein. Er verstand es nicht. Es war, als hätte ihn das Leben über alles Erwarten und Hoffen hinaus beschenkt. Und nur damit die Freude nicht rein sei, versetzte es ihm noch einen Fußtritt hinterher.
    Er grübelte, aber er konnte es nicht verstehen. Und seine Gedanken wanderten weiter von der kleinen Sterbenden, wanderten zu dem Hof. Er überlegte, wie er da alles einrichten würde. Er würde umbauen. Sie würde schöne helle Zimmer bekommen, mit klaren, guten Möbeln. Er würde sie, vom Felde kommend, besuchen, mit ihr plaudern …
    Die Hebammenschwester trat ein. Er wandte ihr den Blick zu. Auch sie sah todeserschöpft aus. Ihr Gesicht schien kein Fleisch mehr zu haben. Unter den Augen waren dunkle Löcher.
    Kommen Sie bitte mit, sagte sie zu Gäntschow.
    Und schon im Gehen: Nicht wahr, Sie wissen?
    Er nickte langsam. Weiß es meine …?
    Frau Doktor ist jetzt bei ihr, sagte die Schwester.
    Er wurde in Christianes Zimmer geführt. Aber Christiane war nicht mehr hier, in der dumpfen, heißen Luft. Christiane war fort aus dem Bett. Ein weißes Laken war darüber gebreitet. Auf dem Laken lag ein kleiner Körper.
    Sie hatten ein Tuch über den Körper gelegt. Man sah das Hälschen, den Kopf, etwas von den gerundeten Schultern, dann die Ärmchen, die Hände über dem Tuch.
    Er beugte sich, blind von Tränen, darüber. Er wischte an seinen Augen, es war so unendlich klein. Aber es war ein fertiges, strenges, ernstes Gesicht. Um den Mund lag ein bitterer Zug. Die Lippen waren fest geschlossen.
    Es war eine uralte Frau, die da lag. Eine Frau, deren langes Leben Kummer und Sorgen bedeutet hatte, und die mit Entschlossenheit über die bittere Todesschwelle geschritten war.
    Aber es war sein Kind, sein kleines Mädchen! Warum hatte sie nicht atmen wollen? Diese strenge Majestät – sie sah bitter, |601| streng und hoheitsvoll aus. Nichts von Vorwürfen – sie war weit über alle Vorwürfe hinaus –
    Er beugte sich über sie. Vielleicht dämmerte in dieser Sekunde in seinem Hirn die uralte Geschichte des Ahns Gäntschow auf, der seine Tochter geliebt hatte, als sie tot war. Den fraßen dann die Ratten. Vielleicht erfaßte ihn in dieser Sekunde etwas von dem, was er alles verloren, wie reich sein Leben durch diese kleine Verstorbene gewesen wäre. Vielleicht erfaßte er seine bitterste, äußerste Armut …
    Sehen Sie die Händchen an, die Fingerchen, die Nägelchen, alles so fertig und
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