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Wintermörder - Roman

Titel: Wintermörder - Roman
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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Arbeitsplatte. In den Schränken waren Teller und Tassen ordentlich gestapelt. Der Mülleimer war geleert, und auf den Möbeln war kein Staubkorn zu erkennen. In einem Obstkorb lagen drei Äpfel, die zwar nicht mehr frisch, aber auch nicht verdorben waren. Als sie den Kühlschrank öffnete, empfand Myriam sowohl Erleichterung als auch Panik. Matecki war noch vor kurzem hier gewesen. Der Kühlschrank war mit Vorräten gefüllt, wie sie für eine Person ausreichend waren. Doch die Produkte, die hier standen, stammten nicht aus polnischen Läden. Milch, Käse, Wurst. Alles Waren, die in deutschen Aldifilialen angeboten wurden.
    Myriam sank auf den Stuhl. Matecki war vor kurzem in Deutschland gewesen. So viel war sicher. Was das zu bedeuten hatte, wurde ihr schlagartig klar. Sie waren ihm auf der Spur und damit Frederik.
    »Ich glaube, wir wissen jetzt, wie er Frederik nach Krakau gebracht hat«, hörte sie Henri sagen. Er reichte ihr eine braune Brieftasche.
    Sie nahm sie entgegen. Als sie sie öffnete, sah sie ein polnisches Dokument.
    »Was ist das?«
    »Du erinnerst dich an das Wohnmobil auf dem Parkplatz?«
    Sie nickte.
    »Das hier sind die dazugehörigen Fahrzeugpapiere.«
    Es passte alles zusammen. In einem Wohnmobil konnte man leicht ein Kind verstecken. Die Grenzen waren offen. Man brauchte nicht viel Glück, damit man nicht kontrolliert wurde. Und Matecki war Polizist.
    »Hat er Freunde oder Bekannte, zu denen er gehen könnte?«
    »Matecki ist ein Einzelgänger«, ließ Inspektor Halecki übersetzen.
    »Aber wir haben eine wirkliche Spur«, erwiderte Henri. »Frederik ist hier in Krakau. Irgendwo in der Stadt hat Matecki ihn versteckt. Vermutlich dort, wo er auch seine Mutter hingebracht hat, nachdem er sie aus dem Altersheim geholt hat. Seine Mutter ist schwer krank. Sie kann sich nicht mehr alleine versorgen. Irgendwo muss es noch eine Wohnung oder ein Haus geben.«
    »Aber wo? Die Stadt ist groß.«
    »Dennoch sind wir einen großen Schritt weitergekommen.«
    »Nicht weit genug. Ich verstehe nicht, woher du die Geduld nimmst.«
    »Ungeduld kann ich mir nicht leisten.«
    »Und was jetzt?«
    Henri zog einen Zettel aus der Tasche.
    »Was ist das?«
    »Die Telefonnummer von Magda Urban.«
    Magda Urban weigerte sich, Myriam und Henri, eine deutsche Staatsanwältin, einen deutschen Hauptkommissar, auf der Polizeistation zu treffen oder in irgendeinem anderen Gebäude. Doch sie war bereit, auf dem Hauptplatz vor dem Café in den Tuchhallen auf sie zu warten.
    Ihre Stimme klang heiser wie die von Zarah Leander, als sie Myriam auf Deutsch begrüßte. Ihr Gesicht war nicht nur kräftig geschminkt, sondern besaß eine Lebendigkeit, die für ihr Alter erstaunlich war. Unaufhörlich bewegten sich die Hände, wenn sie erzählte.
    Sie versuchten, sie zu überreden, das Café zu betreten, doch sie weigerte sich beharrlich. »Wände haben Ohren«, sagte sie. »Über den Krieg spreche ich nie in geschlossenen Räumen.«
    Gemeinsam begannen sie, über den Platz zu gehen.
    »Was können Sie uns über Zofia Lisowska sagen?«, fragte Myriam und zog ihren Mantel fest unter dem Kinn zusammen.
    »Zofia Lisowska«, begann Magda zu erzählen, »war im Januar 1942 dreizehn Jahre alt. Ich lernte sie auf dem Transport nach Deutschland kennen. Sie wurde am Neujahrsmorgen vor ihrem Haus verschleppt. Ich dachte immer, dass es Zufall war wie bei mir. Ich war gerade mit der Straßenbahn auf dem Weg zur Arbeit, als man alle Mädchen ab sechzehn aufforderte, die Straßenbahn zu verlassen und auf den Lastwagen zu steigen. Aber mit Zofia war es etwas anderes. Sie kannten ihren Namen. Sie wussten, wer sie war. Erst sechs Wochen vorher hatte man ihren Vater auf der Straße erschossen.«
    »Man hat ihn erschossen?«
    »Ja, seine Mörder wurden nie gefunden, sagte Zofia. Aber wie auch. Sie haben ja nie nach ihnen gesucht. Sie haben ihn umgebracht, weil er immer wieder Briefe an die Deutsche Verwaltung schrieb, in denen er gegen die Verschleppung von Kunstwerken aus dem Historischen Museum, dem Wawel und dem Czartoryjski-Palast nach Deutschland protestierte.«
    »Wussten Sie von ihrer Schwangerschaft?«, fragte Henri.
    »Was meinen Sie?« Magda Urban blieb abrupt stehen.
    »Zofia hat ein Kind zur Welt gebracht. Einen Jungen.«
    Die alte Frau schüttelte den Kopf. »Davon weiß ich nichts. Zofia war schwanger? Deshalb war sie plötzlich verschwunden.«
    »Wann haben Sie sie zum letzten Mal gesehen?«
    »Im August 1944. Danach hat sich Zofia nicht mehr
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